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Hannover, 02.03.2022 | Unternehmen in Europa müssen künftig ihre Vorlieferanten noch strenger darauf überprüfen, ob deren Produkte rechtmäßig und sozial- und umweltverträglich hergestellt wurden. Dies wird indirekt auch mittlere Unternehmen noch weiter verpflichten. Dazu hat nun die EU ihr Konzept zur Lieferkettenkontrolle vorgestellt:

Das EU-Konzept zu Lieferketten

Steffen Töhte, Ass. iur., Hannover

Nachdem der deutsche Gesetzgeber bereits im Juni 2021 das „Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten“ (LkSG) beschlossen hat, stellt nun auch die EU-Kommission einen Richtlinienentwurf betreffend der Sorgfaltspflichten von Unternehmen vor. Unternehmen sollen künftig auch auf EU-Ebene verpflichtet werden, negative Auswirkungen ihrer Tätigkeit auf die Menschenrechte sowie auf die Umwelt zu ermitteln, zu verhindern, abzustellen oder zu vermindern. Der Richtlinienentwurf geht dabei sowohl hinsichtlich des Geltungsbereichs als auch bezüglich der inhaltlichen Sorgfaltspflichten über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus und nimmt Unternehmen stärker in die Pflicht.

 

Geltungsbereich

Die neuen Sorgfaltspflichten gelten nach dem Richtlinienentwurf für alle Kapitalgesellschaften mit Sitz in der EU, die mehr als 500 Beschäftigte und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 150 Millionen Euro haben (Gruppe 1). Unternehmen, welche nicht beide Schwellenwerte erreichen, werden trotzdem verpflichtet, sofern sie schwerpunktmäßig in bestimmten ressourcenintensiven Branchen tätig sind und mehr als 250 Beschäftigte und einen weltweiten Nettoumsatz von mehr als 40 Millionen Euro aufweisen (Gruppe 2). Zu den ressourcenintensiven Branchen gehören laut abschließendem Katalog die Textilindustrie, die Land- und Forstwirtschaft einschließlich der Fischerei, die Nahrungsmittelherstellung, der Großhandel mit landwirtschaftlichen Rohstoffen, lebenden Tieren, Holz, Nahrungsmitteln und Getränken sowie die Gewinnung von und der Handel mit Bodenschätzen und Rohstoffen. Für die Gruppe 2-Unternehmen sollen die Vorschriften aber erst zwei Jahre später gelten. Unabhängig von der Beschäftigtenzahl werden außerdem Unternehmen aus Drittstaaten adressiert, wenn sie einen Umsatz von entweder 150 Millionen Euro in einer beliebigen Branche oder 40 Millionen EUR in einer der ressourcenintensiven Branchen innerhalb der EU erwirtschaften.

Von der Richtlinie wären nach Schätzungen der EU-Kommission etwa 13.000 europäische Unternehmen sowie 4.000 in der EU tätige Unternehmen aus Drittstaaten betroffen. Damit würden 99 Prozent der europäischen Wirtschaft, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen (KMU), nicht in den direkten Anwendungsbereich der neuen Sorgfaltsplichten fallen. Indirekt können sie aber beispielsweise als Zulieferer für Großunternehmen betroffen sein, wenn diese wiederum verpflichtet sind, eine ordnungsgemäße Lieferkette vorzuweisen.

In sachlicher Hinsicht erstrecken sich die Sorgfaltspflichten grundsätzlich auf die gesamte Wertschöpfungskette. Erfasst wird die Geschäftstätigkeit der betroffenen Unternehmen selbst und ihrer Tochtergesellschaften. Die Lieferketten sind in beide Richtungen auf mögliche Verstöße gegen Bestimmungen der Richtlinie zu kontrollieren, dies betrifft Zulieferer und Abnehmer. Nach dem Wortlaut des Richtlinienentwurfs beschränkt sich die Kontrollpflicht innerhalb der Lieferkette aber auf solche Unternehmen, zu denen eine etablierte Geschäftsbeziehung besteht („established business relationship“). Der Richtlinienentwurf definiert eine solche etablierte Geschäftsbeziehung als eine direkte oder indirekte Geschäftsbeziehung, die aufgrund ihrer Intensität oder Dauer dauerhaft ist oder voraussichtlich dauerhaft sein wird und nicht nur einen unbedeutenden oder nebensächlichen Teil der Wertschöpfungskette darstellt. Was hierunter genau zu verstehen ist, bleibt noch unklar und dürfte ein Diskussionspunkt im weiteren Rechtssetzungsverfahren werden.

 

Erweiterung der Sorgfaltspflichten

Gesetzgeberisches Ziel der Europäischen Kommission ist es, dass Unternehmen die Achtung der Menschenrechte und die Einhaltung von Umweltstandards innerhalb ihrer globalen Wertschöpfungskette sicherstellen. Hierzu zählt beispielsweise die Verhinderung von Kinder- und Zwangsarbeit, die Schaffung sicherer und gesunder Arbeitsbedingungen sowie ein fairer Arbeitslohn. Ein praxisrelevantes Beispiel für einen Verstoß gegen Umweltstandards dürfte die teilweise exzessive Gewässerverschmutzung durch den Bergbau bei der Rohstoffgewinnung sein.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen betroffene Unternehmen die Einhaltung der Sorgfaltspflichten zum integralen Bestandteil ihrer Unternehmenspolitik machen, tatsächliche oder potenzielle negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und die Umwelt ermitteln, potenzielle Auswirkungen verhindern oder abschwächen, tatsächliche Auswirkungen abstellen oder sie auf ein Minimum reduzieren, ein Beschwerdeverfahren einrichten, die Wirksamkeit der Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflicht kontrollieren und öffentlich über die Wahrnehmung ihrer Sorgfaltspflicht kommunizieren.

Haben Unternehmen Verstöße gegen Menschenrechte oder Umweltstandards in ihrer Wertschöpfungskette identifiziert, müssen sie je nach Schwere des Verstoßes im Einzelfalls angemessene Maßnahmen treffen. Bei leichteren Verstößen oder Verdachtsmomenten kann es genügen, vertragliche Vereinbarungen innerhalb der Lieferkette zu treffen, wobei der Richtlinienentwurf ausdrücklich fordert, dass vertragliche Vereinbarungen stets durch geeignete Maßnahmen zur Überprüfung und Einhaltung begleitet werden müssen. Bei schwereren Verstößen kann ein Unternehmen auch verpflichtet sein, die Geschäftsbeziehung vollständig aufzulösen. Dies könnte Unternehmen vor die schwierige praktische Aufgabe stellen, neue geeignete Zulieferer zu finden, sind doch die Lieferketten weltweit ohnehin belastet.

Direkte Sorgfaltspflichten bezüglich negativer Folgen für das Klima werden durch den Richtlinienentwurf bislang nicht statuiert. Unternehmen der Gruppe 1 müssen aber über einen Plan verfügen, mit dem sie sicherstellen, dass ihre Geschäftsstrategie die Ziele aus dem Pariser Klimaabkommen (Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad) hinreichend berücksichtigt.

Auch in Bezug auf den Import von Produkten, die unter Zwangsarbeit hergestellt wurden, findet sich keine Regelung im Richtlinienentwurf. Jedoch arbeitet die EU-Kommission bereits an einem eigenständigen Rechtsinstrument. Dadurch soll zukünftig verhindert werden, dass entsprechende Produkte in den europäischen Handel gelangen.

 

Sanktionen

Der Richtlinienentwurf enthält verschiedene Sanktionsmechanismen bei Verstößen gegen die Sorgfaltspflichten. Zum einen verpflichtet sie die Mitgliedsstaaten geeignete und angemessene Sanktionen bei der Umsetzung in nationales Recht zu schaffen. Dabei kommen vor allem Geldbußen gegen die betreffenden Unternehmen in Betracht. Die Höhe der Geldbuße soll sich nach dem Umsatz des Unternehmens richten. Unternehmen, die einen Klimaplan erstellen müssen (insb. Gruppe 1), sollen außerdem die Leistung von Bonuszahlungen an die Geschäftsleitung von der Einhaltung des Klimaplans abhängig machen.

Nach dem Richtlinienentwurf sollen Unternehmen, welche ihre Sorgfaltspflichten verletzt haben, unter bestimmten Umständen für Schäden zivilrechtlich haften, die entlang ihrer Wertschöpfungskette entstanden sind. Betroffene von Menschenrechtsverletzungen oder Umweltschäden könnten so von Unternehmen in Deutschland Schadensersatz verlangen. Eine Beweiserleichterung zugunsten der Betroffenen sieht der Richtlinienentwurf allerdings nicht vor. Die möglichen Kläger blieben darlegungs- und beweispflichtig für alle Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs. Auf der anderen Seite ist ein echter Haftungsausschluss für Unternehmen nur in Fällen vorgesehen, in denen das verpflichtete Unternehmen bereits vertragliche Zusicherungen entlang der Lieferkette eingeholt hat, zusätzliche Schutzmaßnahmen nicht veranlasst waren und der eingetretene Schaden durch einen (mittelbaren) Zulieferer verursacht wurde.


Vergleich zu deutschem Lieferkettengesetz

Der Richtlinienentwurf hatte seiner Struktur nach das deutsche Lieferkettengesetz zum Vorbild, geht jedoch inhaltlich in vielen Punkten darüber hinaus. Schon der Geltungsbereich ist in der Richtlinie weiter gefasst. So gelten die deutschen Regelungen ab 2023 nur für Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten, wobei die Grenze ab 2024 auf 1.000 Beschäftigte abgesenkt wird. Dennoch sind dies immer noch doppelt so viele Beschäftigte im Vergleich zum Richtlinienentwurf. Nach dem Willen der EU-Kommission wären also deutlich mehr Unternehmen von den Sorgfaltspflichten unmittelbar betroffen. Auch greifen die Kontrollpflichten für Unternehmen nach dem deutschen Lieferkettengesetz in der Regel nur für den direkten Lieferanten, während der Richtlinienentwurf Kontrollpflichten für die gesamte Wertschöpfungskette etabliert.

Auffällig ist auch, dass das deutsche Lieferkettengesetz keine Vorschriften in Bezug auf Klimaschutz, Bonuszahlungen oder Haftung enthält. Insbesondere die hierzulande heftig diskutierte Frage der zivilrechtlichen Haftung für Schäden entlang der Wertschöpfungskette dürfte im Zuge der EU-Richtlinie erneut zum Thema werden.


Nächste Schritte

Der Richtlinienentwurf wird nun dem Europäischen Parlament und dem Rat vorgelegt werden. Dort wird jeweils über den Entwurf beraten und abgestimmt, gegebenenfalls gibt es Änderungsvorschläge. Sobald die Richtlinie in ihrer finalen Version angenommen wird, haben die Mitgliedstaaten zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen.  In diesem Fall wäre mit einer Anpassung des deutschen Lieferkettengesetzes an die dann geltenden europäischen Vorgaben zu rechnen. Erst dann entfaltet die Richtlinie in Form der deutschen Umsetzung Rechtswirkung für deutsche Unternehmen.


Auswirkungen für die Praxis

Die EU-Richtlinie wird voraussichtlich – unbeschadet ihrer finalen Fassung – höhere Sorgfaltspflichten für die adressierten Unternehmen festlegen. Zum einen könnten mehr Unternehmen als bislang zur Kontrolle ihrer Lieferkette verpflichtet sein. Zum anderen dürften die Kontrollpflichten dann weiter als nur bis zum direkten Lieferanten reichen. Vor allem vertragliche Vereinbarungen zur Erfüllung der Sorgfaltsverpflichtungen werden wohl zunehmen. Dies betrifft nicht nur Unternehmen im Geltungsbereich der Richtlinie, sondern insbesondere auch KMU als Teil der Wertschöpfungskette. Hierzu werden die Mitgliedsstaaten nach dem Richtlinienentwurf ausdrücklich angehalten, vor allem KMU bei der Erfüllung ihrer Sorgfaltspflichten zu unterstützen. Die Mitgliedsstaaten sollen zu diesem Zweck entsprechende Websites, Plattformen und Portale einrichten und betreiben.

Weiter zunehmen dürfte auch der Trend zur Zertifizierung. Mithilfe des Erwerbs von Zertifikaten (EMAS, Grüner Knopf, SMETA etc.) können Unternehmen einfacher nachweisen, dass sie bestimmte Menschenrechts- oder Umweltstandards erfüllen. Zertifikate machen die Lieferkette transparenter und erhöhen gerade im Angesicht der zunehmenden Sorgfaltspflichten das Ansehen und die Attraktivität eines Unternehmens. Möglicherweise führt die EU-Richtlinie auch zur Konzentration der Zulieferer. Aus marktwirtschaftlicher Perspektive soll die Richtlinie für gleiche Wettbewerbsbedingungen sorgen. Unternehmen sollen keinen Vorteil dadurch genießen, dass sie gegen menschenrechtliche oder umweltrechtliche Sorgfaltspflichten verstoßen. Hierzu soll auch die Erweiterung des Geltungsbereichs für Unternehmen aus Drittstaaten beitragen.

Eines lässt sich jedoch bereits sicher sagen: Für Unternehmen, insbesondere in den sogenannten Hochrisiko-Branchen, wird die Überwachung und Kontrolle der eigenen Wertschöpfungskette zunehmend an rechtlicher Bedeutung gewinnen. Allein wegen der drohenden Sanktionen und dem möglichen zivilrechtlichen Haftungsrisiko sollten Unternehmen gehalten sein, ihre Geschäftsbeziehungen und Lieferketten auf etwaige Verstöße zu untersuchen und diese alsbald abzustellen. Unabhängig vom weiteren Schicksal des Richtlinienentwurfs wird das deutsche Lieferkettengesetz zu großen Teilen nämlich bereits am 01. Januar 2023 in Kraft treten.

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