im März 2020  |

Angesicht der Ausbreitung des Corona-Virus (Sars-Cov-2) sowie der damit verbundenen Folgen stellen sich für Unternehmen viele rechtlich relevante Fragen. Kurzarbeit und Home-Office sind nur zwei davon, wenn auch besonders dringende.

Aus wirtschaftlicher und vertragstechnischer Sicht besonders wichtig ist die Frage, ob die vertragliche Leistungsverpflichtung bei betroffenen Unternehmen durch das Corona-Virus automatisch entfällt, ob weiterhin eine Leistungsverpflichtung besteht, oder ob es besonderer Regelungen bedarf. Denn gerade in Lieferketten können sich die Auswirkungen des Corona-Virus bemerkbar machen, sei es durch eingeschränkte Produktion, sei es durch Lieferprobleme.

 

Vertragserfüllung

Grundsätzlich sind Verträge von den Vertragsparteien zu erfüllen. Vertragspartner sind nicht per se berechtigt, Verträge einseitig zu kündigen und können sich gegebenenfalls bei Nichterfüllung oder bei Leistungsverzögerungen auch Schadensersatzforderungen ausgesetzt sehen. Um diesem Grundsatz entgegen zu treten und vorzubeugen, sollten in Verträgen Klauseln zur höheren Gewalt aufgenommen werden. Diese, in internationalen Verträgen auch als Force Majeure bezeichnet, legen fest, dass die Nichterfüllung aufgrund eines unvorhergesehenen oder unkontrollierbaren Ereignisses (höhere Gewalt) bestimmte Folgen auslösen kann. Diese Folgen müssen im Vertrag definiert werden. Zu den Folgen gehört beispielsweise ein Haftungsausschluss für Ereignisse der höheren Gewalt. Des Weiteren gilt es Verträge zu betrachten, in denen derartige Klauseln nicht enthalten sind.

 

Höhere Gewalt

Viele Unternehmen nutzen die Formulierung „der Verkäufer haftet nicht in Fällen höherer Gewalt“. Diese Klausel ist möglicherweise nicht in allen Fällen ausreichend präzise gefasst.

Was Fälle der höheren Gewalt darstellt, sollte im Vertrag im Zweifel genau definiert werden. Dies beugt späteren Streitigkeiten zwischen den Parteien zum Umfang der höheren Gewalt vor. Die genaue Definition hilft, zwischen den Parteien Klarheit über den Umfang der höheren Gewalt zu schaffen. Denn naturgemäß können Vertragsparteien hier unterschiedliche Vorstellungen vom Umfang der höheren Gewalt haben. Klare Regelungen helfen dabei weiter. Eine Auflistung an Beispielen höherer Gewalt hilft hier weiter zur Klarstellung

Diese Auflistung sollte aber nicht abschließend sein, weil es möglicherweise noch andere, neue und derzeit noch unerwartete Fälle geben kann, die ebenfalls höhere Gewalt darstellen und die Berücksichtigung finden sollten. Die Formulierung könnte somit ergänzt werden zu „Der Verkäufer haftet nicht in Fällen höherer Gewalt. Dazu zählen insbesondere, aber nicht abschließend, folgende Beispiele: …“. Bei diesen Formulierungen werden standardmäßig Begriffe wie Krieg, Betriebsunterbrechungen, Naturkatastrophen, Verkehrsstörungen, Arbeitskämpfe, Störungen im Betriebsablauf der Transportunternehmer und der Unterlieferanten und so weiter aufgeführt werden.

 

Corona-Virus als höhere Gewalt

Ob das Corana-Virus als höhere Gewalt anzusehen ist, hängt stark von der Formulierung der höheren Gewalt ab.

Angesichts der derzeitigen Entwicklungen zum Corona-Virus sollten aus gesundheitlicher Sicht die Begriffe Epidemie/Pandemie und Infektiöse Krankheiten aufgeführt werden. Da es sich bei dem Corona-Virus um eine infektiöse Krankheit und nun sogar nach Einschätzung der Weltgesundheitsorganisation (WHO) um eine Pandemie handelt, können das Corona-Virus und seine Folgeerscheinungen hier unter die vorstehend genannten Beispiele fallen und somit höhere Gewalt darstellen. Die bloße Formulierung Krankheit hätte hier wohl nicht ausgereicht, denn eine Krankheit an sich ist nicht unbedingt als höhere Gewalt anzusehen.

Es bietet sich angesichts der aktuellen Entwicklungen auch an, bestimmte Standards festzulegen, wann denn beispielsweise ein Ereignis vorliegen soll. Erst bei Überschreiten derartiger Schwellen ist dann tatsächlich dieses Ereignis eingetreten. So könnte hinsichtlich des Begriffes „Epidemie“ auf eine entsprechende Einstufung durch die WHO zu verweisen, möglicherweise auch auf Warnungen eines entsprechenden Gesundheitsministeriums eines bestimmten Landes.

Hier zeigt sich besonders, dass die Regelungen zur höheren Gewalt mit Bedacht getroffen werden sollten.

Es ist im Einzelfall zu prüfen, ob sich ein Unternehmen auf höhere Gewalt durch das Corona-Virus berufen kann.

 

Zeitpunkt des Vertragsschlusses

Allerdings ist trotz einer entsprechenden Klausel nicht in jedem Fall das Corona-Virus als höhere Gewalt anzusehen. Es ist zu beachten, dass der Umstand der höheren Gewalt nach Vertragsabschluss entstanden sein muss. Lag der Umstand bereits bei Vertragsabschluss vor und war den Vertragsparteien somit bekannt, kann sich eine Partei nachträglich nicht mehr auf eine höhere Gewalt berufen, da dieser Umstand in diesem Fall gerade kein unvorhergesehenes Ereignis mehr darstellt. Schließt ein Unternehmen somit im März 2020 einen Vertrag ab, so wird man davon ausgehen müssen, dass die Gefahr Corona-Virus und die damit verbundenen Folgen bei Vertragsabschluss bekannt war und gerade kein unvorhergesehenes Ereignis mehr darstellt. In diesem Falle wäre ein nachträgliches Berufen auf die höhere Gewalt mit einem damit verbundenen Haftungsausschluss nicht möglich.

 

Weitere Erfordernisse

Wenn sich eine Partei auf den Umstand der höheren Gewalt berufen möchte, sind weitere Verpflichtungen einzuhalten, die sich in der Regel ebenfalls aus den Regelungen zur höheren Gewalt ergeben. So ist die andere Vertragspartei über den Eintritt des Falles der höheren Gewalt zu unterrichten. Hierzu ist in den Verträgen meistens eine Regelung aufgenommen, dass die Partei, die sich auf höhere Gewalt beruft, der anderen Vertragspartei eine unverzügliche Mitteilung zu dem Umstand und dem Ende des Umstandes der höheren Gewalt geben muss. Dieses sollte entsprechend dokumentiert werden.

Des Weiteren ist in der Regel vertraglich vereinbart, dass eine Partei alles Mögliche unternehmen muss, um die Folgen des Falles der höheren Gewalt zu minimieren (Schadensminimierung).

Sodann ist zu berücksichtigen, ob es weitere vertragliche Einschränkungen hinsichtlich der höheren Gewalt gibt, so zum Beispiel das jede Partei die durch den Umstand der höheren Gewalt entstehenden finanziellen Folgen auf ihrer Seite selber zu tragen hat. Möglicherweise hat sich eine Vertragspartei auch das Recht vorbehalten, bei der Dauer des Umstandes der höheren Gewalt von mehr als beispielsweise 100 Tagen den gesamten Vertrag aufzulösen.

Und grundsätzlich gilt, dass die Partei, die sich auf eine höhere Gewalt beruft, dieses im Zweifelsfall und bei Bestreiten durch die andere Vertragspartei auch nachweisen muss. Das mag bei dem aktuellen Corona-Virus unproblematischer sein, aber auch hier gilt, dass die Umstände dokumentiert werden sollten, warum eine konkrete Leistungsverpflichtung nicht erbracht werden kann bzw. dass an dieser Stelle die Leistungserbringung aufgrund des Corona-Virus nicht möglich ist,  so beispielsweise wenn der Betrieb geschlossen wurde oder Lieferketten aufgrund des Corona-Virus unterbrochen sind. Ein pauschales Verweisen auf das Corona-Virus wird nicht ausreichen, um sich von der Leistungsverpflichtung zu befreien.

 

Vertragliche Regelung

Fehlt die Rückgriffsmöglichkeit auf die höhere Gewalt, kann hinsichtlich des Corona-Virus in einem derartigen Fall und bei Abschluss neuer Verträge nur eine ausdrückliche vertragliche Regelung, die beispielsweise einen Haftungsausschluss für das Corona-Virus und die damit verbundenen Folgeerscheinungen ausdrücklich vorsieht, von der Leistungsverpflichtung befreien. Diese vertragliche Regelung würde unabhängig vom Begriff der höheren Gewalt gelten. Eine derartige Klausel ist jedoch von den Vertragsparteien zu verhandeln und muss entsprechend in den Vertrag mit aufgenommen werden.

Diese Möglichkeit bietet sich für zukünftige Verträge an, die nun zu Zeiten des Corona-Virus abgeschlossen werden sollen. Sie wirken jedoch erst für die Zukunft und heilen damit keine Verträge, die eine derartige Klausel nicht enthalten haben, gleichwohl aber bereits in Kenntnis des Corona-Virus abgeschlossen wurden.

 

Fehlende Vertragsklausel

Wenn in einem Vertrag weder ein ausdrücklicher Haftungsausschluss für konkrete Ereignisse (wie beispielsweise das Corona-Virus), noch eine Regelung zur höheren Gewalt mit aufgenommen wurde, dann gelten für die Möglichkeit der Befreiung von der Leistungspflicht die gesetzlichen Bestimmungen des anwendbaren Rechts, dem der Vertrag unterliegt. Dieses Recht kann von Fall zu Fall unterschiedlich sein und jede Rechtsordnung enthält unterschiedliche Regelungen.

  1. a) UN-Kaufrecht

Das UN-Übereinkommen über den internationalen Warenkauf (CISG) ist anwendbar auf internationale Kaufverträge. Käufer und Verkäufer müssen ihren Sitz in zwei verschiedenen Mitgliedstaaten haben. Ist das UN-Kaufrecht anwendbar, so ist in diesem eine Klausel zur höheren Gewalt enthalten. Nach Artikel 79 des UN-Kaufrechts gilt: „Eine Partei hat für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nichteinzustehen, wenn sie beweist, dass die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflussbereichs liegenden Hintergrunds beruht und das von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluss in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.“ Diese Regelung befreit eine Partei von der Haftung für die Nichterfüllung aus Gründen, die außerhalb ihres Einflusses liegen. Auf dieser Grundlage können Schadensersatzansprüche gegen diese Partei ausgeschlossen werden. Stellt das Corona-Virus somit noch eine höhere Gewalt dar, so wäre nach dem CISG ein Haftungsausschluss möglich

Ist das UN-Kaufrecht nicht anwendbar, so gelten die Vorschriften der jeweils anzuwendenden nationalen Rechtsordnung.

  1. b) Deutsches Recht

Im deutschen bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) ist hinsichtlich Lieferungen keine ausdrückliche Regelung zum Begriff der höheren Gewalt enthalten. Somit muss auf die allgemeinen gesetzlichen Regelungen zurückgegriffen werden. Hierbei wird auf die Unmöglichkeit der Erfüllung der Leistungserbingung abgestellt. Der Bundesgerichtshof sieht in seiner Rechtsprechung eine höhere Gewalt als „ein von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes und auch durch die äußerst vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis“ an.

 

Handlungsempfehlungen

Angesichts der derzeitigen Entwicklungen und der Ausbreitung des Corona-Virus wird Unternehmen angeraten, ihre bestehenden Verträge und AGB hinsichtlich der Klausel zur höheren Gewalt zu überprüfen. Dabei ist der Umfang der entsprechenden Klausel zu berücksichtigen.

Unklarheiten bei der Klausel zur höheren Gewalt oder Lücken in bestehenden Verträgen sollten die Vertragsparteien schließen, idealerweise gemeinsam, da beide Vertragsparteien von den Auswirkungen des Corona-Virus und der Folgeerscheinungen betroffen sein können. Dieses muss entsprechend vereinbart und dokumentiert werden.

Es bietet sich weiterhin an, die Ergebnisse der Überprüfung zum Anlass zu nehmen und entsprechende Vertragsanpassungen für zukünftige Verträge vorzunehmen. Gegebenenfalls müssen Klauseln für die Zukunft angepasst und überarbeitet werden. Klare Regelungen helfen, um Streitigkeiten vorzubeugen.

Unabhängig davon sollten Unternehmen ihre Versicherungspolicen kontrollieren, ob dort die Folgen des Corona-Virus abgedeckt sind.

 

Notmaßnahmen im Zivilrecht

Die Bundesregierung hat im März einen Entwurf zur befristeten Änderung bestimmter Vorschriften im Zivilrecht vorgelegt. So sollen bestimmte Fristen eingefroren werden, wenn aufgrund der Corona-Epidemie Zahlungen und andere Vertragspflichten nicht fristgemäß eingehalten werden können. Die Zahlungen müssen aber nachgeholt werden, eine Befreiung ist nicht vorgesehen, ebenso wenig eine Anpassung von Verträgen auf der rechtlichen Basis des „Wegfalls der Geschäftsgrundlage“. Gleichwohl kann könnte aber ein Gericht im Einzelfall durchaus zum Ergebnis kommen, dass die bei Vertragsabschluss vorgestellten Umstände nun nicht (mehr) bestehen und daher der Vertrag zu ändern oder gar aufzuheben war.

Aufgrund der unklaren Entwicklung müssen daher Vertragsparteien die rechtlichen Vorgaben und Änderungen des Gesetzgebers eng verfolgen und gegebenenfalls darauf angemessen reagieren.

In voller Länge haben wir für Sie das Compact nachfolgend zum kostenlosen Download bereitgestellt

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Marc-André Delp, Rechtsanwalt, Hannover
Fachanwalt für Internationales Wirtschaftsrecht |

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