CASTON COMPACT No. 297 | im November 2010 |
Petra Debring, Rechtsanwältin in Hannover, Fachanwältin für Steuerrecht |

 

Zum 01.01.2010 ist das Handelsbilanzrecht umfassend reformiert worden und zwar durch das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz ( BilMoG).

 

Deregulierung und Kostensenkung

Ein wesentlicher Schwerpunkt der Reform liegt in der Kostensenkung zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen. Einzelkaufleute werden von der handelsrechtlichen Buchführungspflicht befreit, wenn sie  einen kleinen Geschäftsbetrieb unterhalten, d.h. wenn in zwei aufeinander folgenden Geschäftsjahren der Umsatz 500.000 EUR und der Gewinn 50.000 EUR nicht überschreiten. Bei Neugründungen ist das bereits dann der Fall, wenn die Werte am ersten Abschlussstichtag nach der Neugründung bei oder unter diesen Beträgen liegen.

Sofern keine handelsrechtliche Buchführungspflicht besteht, die Werte des § 141 Abgabenordnung aber überschritten werden (über 500.000 EUR Umsatz oder über 50.000 EUR Gewinn pro Jahr), ist eine eigenständige Steuerbilanz aufzustellen. Bei Betrieben, deren Werte darunter liegen, ist eine Einnahmen-/Überschussrechnung ausreichend.

Daneben wurden die Schwellenwerte des § 267 HGB hinsichtlich der Einteilung von Kapitalgesellschaften

in drei Größenklassen von klein, mittelgroß und groß für die Bilanzsumme und die Umsatzerlöse um 20% angehoben. Die Größenklassen haben unter anderem Einfluss auf den Umfang der Informationspflichten der Unternehmen. Sie wirken sich außerdem auf die gesetzliche Prüfungspflicht aus. Kleine Kapitalgesellschaften sind nicht prüfungspflichtig und zwar in Anlehnung an internationale Rechnungslegungsstandards.

 

Verbesserung der Aussagekraft des Jahresabschlusses

In der Praxis erstellen insbesondere mitteständische Unternehmen eine Einheitsbilanz. Damit dient eine Bilanz sowohl den handelsrechtlichen Jahresabschlusszwecken als auch der Bemessung des steuerlichen Gewinns. In Zukunft wird dies, so sieht es das BilMoG vor, nur noch in Ausnahmefällen möglich sein. Die betroffenen Unternehmen müssen dann neben dem handelsrechtlichen Jahresabschluss eine eigene Steuerbilanz erstellen, je nachdem wie viele Unterschiede zwischen Handels- und Steuerbilanz existieren. Die Entkoppelung von Steuer- und Handelsbilanz eröffnet die Möglichkeit, steuerrechtliche Wahlrechte unabhängig von der Handelsbilanz und damit ohne Auswirkung auf die Ausschüttungsbemessungsfunktion des HGB-Abschlusses auszuüben. Im HGB-Abschluss sind gegebenenfalls latente Steuern zu bilanzieren. Bei nahezu allen mittelgroßen und großen Kapitalgesellschaften wird eine Steuerabgrenzung notwendig sein. Zeitgleich mit der Erstellung des handelsrechtlichen Jahresabschlusses wird es in Zukunft i.d.R. notwendig sein, eine Steuerbilanz zu erstellen, um den Anforderungen zur Ermittlung der latenten Steuern gemäß § 274 HGB gerecht zu werden. Alleine schon das bisherige zeitliche Auseinanderfallen der Erstellung von Handels- und Steuerbilanz macht Anpassungsmaßnahmen im Prozess der Jahresabschlusserstellung erforderlich.  Das BilMoG wird die Bilanzierung deutscher Unternehmen nachdrücklich verändern.

Durch das BilMoG soll die Aussagekraft des handelsrechtlichen Jahresabschlusses verbessert werden. Dies erfolgt durch eine Annährung an internationale Rechnungslegungsstandards, wobei nach der Gesetzesbegründung aber insgesamt ein überschaubares eigenständiges Regelwerk beibehalten werden soll.

Wesentliche Änderungen sind folgende:

  • Einführung eines Ansatzwahlrechts für selbst geschaffene immaterielle Vermögensgegenstände des Anlagevermögens (u.a. Patente, Know-how), sofern sich die Herstellungskosten auf die Entwicklungsphase beziehen (§§ 248, 255 HGB)
  • Geänderte Behandlung von Rückstellungen (insbesondere Pensionsrückstellungen); Rückstellungen sind künftig abzuzinsen und dabei im Finanzergebnis zu buchen; Preis und Kostensteigerungen sind einzuberechnen
  • Verbot der Bildung von bestimmten Aufwandsrückstellungen
  • Aktivierungspflicht eines entgeltlich erworbenen Goodwills im Abschluss eines Einzelunternehmens
  • Anpassung der Herstellungskosten an die international üblichen produktbezogenen Vollkosten
  • Veränderte Vorschriften zur Währungsumrechnung
  • Neukonzeption der Abgrenzung latenter Steuern
  • Einbeziehungspflicht für Zweckgesellschaften in den Konzernabschluss und damit mehr Transparenz
  • Verpflichtende Anwendung der Neubewertungsmethode
  • Aktivierungspflicht des Goodwills im Konzernabschluss und planmäßige Abschreibung

Neben den materiellen Änderungen hinsichtlich Ansatz und Bewertung treten zahlreiche neue Anhangvorschriften, die für mehr Information sorgen sollen.

 

Umsetzung europarechtlicher Vorgaben

Durch das BilMoG sind die sog. Abschlussprüferrichtlinie und die sog. Abänderungsrichtlinie umgesetzt worden. Bei kapitalmarktorientierten Aktiengesellschaften soll ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrates über Sachverstand auf dem Gebiet Rechnungslegung und Abschlussprüfung verfügen. Daneben werden insbesondere die handelsrechtlichen Normen zur Abschlussprüferunabhängigkeit verändert (§ 319a HGB) und erweitert (§ 319a und b HGB).

 

Ausübung bilanzieller Wahlrechte

Die steuerlichen Wahlrechte müssen  nicht mehr  übereinstimmend mit den handelsrechtlichen Wahlrechten ausgeübt werden. Hierzu vertritt die Finanzverwaltung in ihrem aktuellen Schreiben aus Sicht der Steuerpflichtigen durchaus erfreuliche Ansichten. Eine unterschiedliche Ausübung von Wahlrechten wird in bisher strittigen Bereichen nicht mehr beanstandet. Dies macht eine steuerliche Gestaltung möglich, soweit nicht mehr auf die handelsrechtliche Bilanzierung geachtet werden muss:

Besteht nur steuerlich ein Wahlrecht, so kann dies in der Steuerbilanz zur Gewinnminderung und Steuerreduzierung ausgeübt werden. Eine Abweichung zur Handelsbilanz ist dabei unschädlich.

Wahlrechte, die sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich möglich sind, können in den Bilanzen unterschiedlich ausgeübt werden. In der Handelsbilanz kann deshalb z.B. der Ansatz so gewählt werden, dass der Gewinn möglichst hoch ausfällt und die Kreditwürdigkeit des Unternehmens verbessert wird.

Die abweichende Wahlrechtsausübung zwischen Handels- und Steuerbilanz sollte bei folgenden Bilanzpositionen bedacht werden.

 

Teilwertabschreibung

  • in der Handelsbilanz ist sie zwingend vorzunehmen, wenn der Wert eines Wirtschaftsgutes voraussichtlich dauernd gemindert ist.
  • in der Steuerbilanz kann die Teilwertabschreibung vorgenommen werden und so der Gewinn gemindert werden oder es kann auf eine Teilwertabschreibung verzichtet werden. Empfehlenswert ist dies ab einem steuerlichen Verlust, der über 1 Mio. EUR liegt und daher ohnehin nur eingeschränkt genutzt werden darf.

 

Bewertung von Vorräten

In der Handelsbilanz können Vorräte entweder einzeln oder nach den Grundsätzen „First-in-First-out“ (die zuerst eingekaufte Ware wird auch zuerst verkauft) oder „Last-in-First-out“ (die zuletzt eingekaufte Ware wird zuerst verkauft) bewertet.

  • In der Steuerbilanz besteht die Möglichkeit Vorräte entweder nur einzeln oder nach dem „Last-in-First-out“-Grundsatz zu bewerten, unabhängig davon, welche Methode für die Handelsbilanz gewählt wurde. Das „First-in-First-out“-Verfahren ist steuerlich nicht zulässig.

 

Geschäfts- oder Firmenwert

Der Geschäfts- oder Firmenwert ist nach neuer Rechtslage planmäßig über die individuelle Nutzungsdauer abzuschreiben. Aus steuerlicher Sicht sind dabei 15 Jahre vorgesehen. Es besteht eine Angabepflicht, wenn die betriebliche Nutzungsdauer eines entgeltlich erworbenen Firmenwertes mehr als 5 Jahre beträgt, d.h. der Gesetzgeber sah bisher in der Regel eine Nutzungsdauer von 5 Jahren als ausreichend an.

Der Geschäfts- oder Firmenwert ist eine rechnerische Saldogröße. Er berechnet sich aus dem Unternehmenskaufpreis abzüglich des Nettovermögens zu Zeitwerten. Ein entgeltlich erworbener Geschäfts- oder Firmenwert wird kraft gesetzlicher Fiktion einem Vermögensgegenstand gleichgestellt. Das bedeutet in der Konsequenz, dass eine Aktivierungspflicht aufgrund des Vollständigkeitsgebotes besteht. Es gelten die allgemeinen Bewertungsvorschriften und es besteht ein Wertaufholungsgebot.

 

Pensionsverpflichtungen

Das BilMoG soll eine realistischere Bewertung von Pensionsrückstellungen. Deshalb wird die Informationsfunktion mit Blick auf die Finanzlage und Kapitalstruktur des Unternehmens gestärkt. Eine nur für steuerliche Zwecke nach § 6a EStG ermittelte Pensionsrückstellung darf in Zukunft nicht mehr in der Handelsbilanz angesetzt werden.

Sie sind künftig grundsätzlich mit dem so genannten „Erfüllungsbetrag“ anzusetzen. Künftige Preis- und Kostensteigerungen müssen zwingend Bestandteil der Bewertung sein. Allerdings schreibt das BilMoG kein bestimmtes Verfahren vor. Es kann deshalb z.B. neben dem international üblichen Anwartschaftsbarwertverfahren auch das Teilwertverfahren angewendet werden kann.

Soweit die Pensions- und ähnliche langfristige Rückstellungen Restlaufzeiten von mehr als einem Jahr aufweisen, sind sie mit dem durchschnittlichen Marktzinssatz der vergangenen sieben Jahre abzuzinsen. Wahlweise dürfen Rückstellungen für Altersvorsorgeverpflichtungen oder vergleichbare langfristig fällige Verpflichtungen pauschal mit dem durchschnittlichen Marktzinssatz abgezinst werden, der sich aus der Annahme einer Restlaufzeit von 15 Jahren ergibt. In der praktischen Umsetzung kann dies zu erheblichen Bewertungsunterschieden im Vergleich zum bisherigen Wertansatz führen. Die durch die Umstellung erforderlichen Zuführungen zu den Pensionsrückstellungen können entweder sofort oder in Jahresraten in Höhe von mindestens einem Fünfzehntel bis spätestens zum 31. Dezember 2024 gesammelt werden, um eine zu starke Belastung zu vermeiden.

Für den steuerlichen Wertansatz der Pensionsrückstellung ist weiterhin § 6a EStG maßgeblich, wodurch in der Regel aufgrund der temporären Differenzen latente Steuern auszuweisen sind.

 

Corporate Governance

Neben den bilanzrechtlichen Regelungen enthält das BilMoG eine Reihe von Bestimmungen, welche die Corporate Governance, insbesondere der auf den Kapitalmarkt ausgerichteten Unternehmen, weiter ausbauen und verbessern sollen.

Hierzu gehören einerseits Neuerungen zur Besetzung des Aufsichtrates und zu seinen Überwachungsaufgaben. Im Zentrum steht dabei die Verpflichtung zur Einrichtung eines Prüfungsausschusses mit einem entsprechenden Aufgabenkatalog.

 

Notwendigkeit von Vertragsanpassungen

Zahlreiche Unternehmensverträge nehmen mittelbar oder unmittelbar Bezug auf bilanzielle Kennzahlen oder Erfolgsgrößen aus der Gewinn- und Verlustrechnung. Beispielsweise sehen Kreditverträge zunehmend so genannte Financial Convenants vor, die seitens des Kreditnehmers erfüllt werden müssen, um keine Verschlechterung im Zusammenhang mit den Kreditkonditionen zu verursachen. Die Vergütungsvereinbarungen leitender Angestellter basieren oftmals auf Kennzahlen der Gewinn- und Verlustrechnung. Gesellschaftsrechtliche Vereinbarungen im Zusammenhang mit Unternehmens- oder Anteilstransaktionen sehen oft bestimmte Vorgaben zur Bemessung von Abfindungsguthaben, Kaufpreisen oder anderen Pflichten vor. Nicht zuletzt nehmen geschlossene Ergebnisabführungsvertrage in Organschaften oftmals Bezug auf die handelsrechtliche Ausschüttung. Auch Einheitsbilanzkauseln dürften künftig nicht mehr anwendbar sein. Alle genannten Bereiche sind betroffen, da die handelsrechtlichen Vorschriften eine Veränderte Bestimmung einzelner Bilanz- oder GuV-Kennzahlen zur Folge haben. Da das BilMoG ab 2010 anzuwenden ist, ergibt sich in der Praxis im Einzelfall bereits kurzfristig ein umfassenden Handlungsbedarf.

 

Fazit

Der Übergang auf das neue deutsche Bilanzrecht wird sich in den Bilanz der Unternehmen beginnend ab dem Jahr 2010 über viele Jahre hinziehen. Es wird dadurch eine Vergleichbarkeit der Jahresabschlussdaten nur eingeschränkt möglich sein. Bilanzpolitisch und bilanzanalytisch müssen die einzelnen neuen oder veränderten Instrumentarien definiert und aufeinander abgestimmt werden. Im Ergebnis kann aus der BilMoG-Umstellung zum 01.01.2010 leicht keine zeitpunktbezogene, sondern eine zeitraumbezogene Umstellung werden. Bis zu 15 Jahre kann sich die aufwandswirksame Erfassung des Anpassungsbetrages im Zusammenhang mit den Pensionsrückstellungen hinziehen. Steuerliche Sonderposten, die beibehalten werden, können nur zum Teil noch das individuelle Bilanzbild prägen.

 

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