In Compact

Hannover, 15.02.2023 | Technisches Know-how spielt für viele Unternehmen eine besonders wichtige Rolle. Oft wird dieses Fachwissen nicht innerhalb eines Unternehmens generiert, sondern es wird von einem anderen Unternehmen oder einem Forschungsinstitut durch einen Lizenzvertrag überlassen. Besonders in forschungs- und kapitalintensiven Branchen handelt es sich hierbei häufig um Exklusivlizenzen, die auf den ersten Blick gegen das in der EU geltende Prinzip des freien Wettbewerbs verstoßen.

Der Transfer von Technologierechten

Sara Nesler, Mag. Jur (Torino), LL.M. (Münster), Hannover

Ziel dieses Aufsatzes ist, die Grundrisse des Wettbewerbsrechts bezüglich des Transfers von Technologierechten und insbesondere der sog. „Technologie-Transfer-Gruppenfreistellungsverordnung“ (TT-GVO) zu erläutern. Diese befreit Technologietransfer-Vereinbarungen grundsätzlich von dem Prinzip des freien Wettbewerbs in Art. 101 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV). Obwohl die TT-GVO zuletzt im Jahr 2014 überarbeitet wurde, ist sie durch die bleibende und steigende Relevanz von Technologietransfer-Vereinbarungen in der heutigen Wirtschaftswelt sehr aktuell.

 

Art. 101 AEUV und die Gruppenfreistellungsverordnungen

Art. 101 Abs. 1 AEUV verbietet grundsätzlich alle Vereinbarungen, Beschlüsse und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, die wettbewerbswidrig sind und den Binnenmarkt verzerren. Zwar sieht Art. 101 Abs. 3 AEUV Ausnahmen für Vereinbarungen vor, wenn diese positive Auswirkungen auf die Warenerzeugung oder -verteilung haben oder zur Förderung des technischen oder wirtschaftlichen Fortschritts beitragen.

Die Feststellung dieser Voraussetzungen erfordert jedoch eine individuelle Prüfung aller Vereinbarungen und Handlungen und ist mit einem hohen Maß an Rechtsunsicherheit verbunden.

Um dem Problem entgegenzuwirken, erlässt die Europäische Kommission gem. Art. 103 AEUV Gruppenfreistellungsverordnungen (GVO) und legt damit Bedingungen fest, unter denen bestimmte Arten von Vereinbarungen in bestimmten Marktsektoren grundsätzlich als wettbewerbsrechtskonform gelten. Für solche Vereinbarungen schafft eine GVO eine Art „sicheren Hafen“.

Insgesamt bestehen derzeit sechs Gruppenfreistellungsverordnungen: darunter die vor Kurzem novellierte Vertikal-GVO (siehe dazu das HP Compact „Wettbewerbsbeschränkungen im Vertrieb“, August 2022) und die hier relevante TT-GVO.

 

Die Technologie-Transfer-GVO

Der Transfer von technischem Know-how erfolgt nicht nur im Interesse einzelner Unternehmen, sondern kann allgemein positive Auswirkungen haben. Technischer Fortschritt steigert zum einen die Lebensqualität der Verbraucher, zum anderen fördert er die Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Binnenmarktes. Das hat die EU-Kommission bereits im Jahr 1996 mit der Einführung der ersten Fassung der TT-GVO erkannt und mit den Novellen von 2004 und 2014 bestätigt.

Diese Wertung spiegelt sich in der Struktur der neu gefassten Regelung wider. Die TT-GVO von 2014 beinhaltet keine Liste von erlaubten Technologietransfer-Vereinbarungen, sondern befreit prinzipiell die Mehrheit der Technologietransfer-Vereinbarungen vom Verbot des Art. 101 Abs. 1 AEUV.

Das bedeutet, dass Technologietransfer-Vereinbarungen grundsätzlich zulässig sind (Art. 2 TT-GVO), solange die gemeinsame Marktanteilsschwelle von 20 % bei konkurrierenden Unternehmen und die individuelle Marktanteilsschwelle von 30 % bei nicht konkurrierenden Unternehmen nicht überschritten wird (Art. 3 TT-GVO), und die Vereinbarung keine Kernbeschränkungen enthält.

Die TT-GVO erfasst dabei den gesamten Europäischen Wirtschaftsraum, sie gilt aber auch für Vereinbarungen, die für Nicht-EU-Länder geschlossen werden, soweit sie sich auf den Europäischen Binnenmarkt auswirken (Auswirkungsprinzip). 

 

Was heißt „Technologie-Transfer-Vereinbarung“?

Von zentraler Bedeutung für die Anwendung der TT-GVO ist die Frage, was mit „Technologierechten“ gemeint ist. Unter dem Begriff werden Know-how, aber auch Patente, Gebrauchsmuster, Geschmacksmuster, Topografien von Halbleiterprodukten, ergänzende Schutzzertifikate für Arzneimittel oder ähnliche Produkte, Sortenschutzrechte und Software-Urheberrechte oder eine Kombination hiervon subsumiert. Technologierechte sind hierbei zwingend von Immaterialgüterrechten und geistigem Eigentum abzugrenzen.

Eine Technologietransfer-Vereinbarung ist also eine Lizenzvereinbarung, in der eine Partei einer oder mehreren anderen Parteien gestattet, seine Technologie (Patent, Know-how, Softwarelizenz) für die Produktion von Waren und Dienstleistungen zu nutzen.

 

Kernbeschränkungen (Art. 4 TT-GVO)

Beinhaltet der Vertrag eine Kernbeschränkung (oder schwarze Klausel), ist der gesamte Vertrag von der Gruppenfreistellung ausgeschlossen und eine Einzelprüfung wird notwendig.

Die TT-GVO sieht in Art. 4 unterschiedliche Kernbeschränkungen für konkurrierende und nicht konkurrierende Unternehmen vor.

Unterschieden wird dabei oft zwischen „wechselseitigen“ und „nicht wechselseitigen“ Vereinbarungen. „Wechselseitig“ im Sinne der TT-GVO ist eine Technologietransfer-Vereinbarung, bei der zwei Unternehmen einander in demselben oder in getrennten Verträgen eine Technologierechtslizenz erteilen, die konkurrierende Technologien zum Gegenstand hat oder für die Produktion konkurrierender Produkte genutzt werden kann.

„Nicht wechselseitig“ ist dagegen eine Vereinbarung, bei der ein Unternehmen einem anderen Unternehmen eine Technologierechtslizenz erteilt oder mit der zwei Unternehmen einander eine solche Lizenz erteilen, wobei diese Lizenzen keine konkurrierenden Technologien zum Gegenstand haben und auch nicht für die Produktion konkurrierender Produkte genutzt werden können.

Konkurrierende Unternehmen

Für konkurrierende Unternehmen gilt die Freistellung nach Art. 2 TT-GVO nicht für Vereinbarungen, die Folgendes beinhalten:

  • Die Beschränkung der Möglichkeit einer Partei, den Preis, zu dem sie ihre Produkte an Dritte verkauft, selbst festzusetzen.
  • Die Beschränkung des Outputs. Ausnahmsweise erlaubt sind dagegen Output-Beschränkungen, die dem Lizenznehmer in einer nicht wechselseitigen Vereinbarung oder nur einem Lizenznehmer in einer wechselseitigen Vereinbarung bezüglich der Vertragsprodukte auferlegt werden.
  • Die Zuweisung von Märkten oder Kunden, mit mehreren Ausnahmen. Zulässig ist z.B. die Verpflichtung des Lizenznehmers, die Vertragsprodukte nur für den Eigenbedarf zu produzieren, sofern er keiner Beschränkungen in Bezug auf den aktiven und passiven Verkauf als Ersatzteile für seine eigenen Produkte unterliegt.
  • Die Beschränkung der Möglichkeit des Lizenznehmers, seine eigenen Technologierechte zu verwenden, oder die Beschränkung der Möglichkeit der Vertragsparteien, Forschung- und Entwicklungsarbeiten durchzuführen, es sei denn, diese sind unerlässlich, um die Preisgabe des lizenzierten Know-hows an Dritte zu verhindern.

 Nicht konkurrierende Unternehmen 

Für nicht konkurrierende Unternehmen gilt die Freistellung nach Art. 2 TT-GVO nicht für Vereinbarungen, die Folgendes beinhalten:

  • Die Beschränkung der Möglichkeit einer Partei, den Preis, zu dem sie ihre Produkte an Dritte verkauft, selbst festzusetzen, unbeschadet der Möglichkeit, Höchstverkaufspreise festzusetzen oder Preisempfehlungen festzulegen.
  • Die Beschränkung des Gebietes oder des Kundenkreises, in das bzw. an den der Lizenznehmer Vertragsprodukte passiv verkaufen darf, mit mehreren Ausnahmen. Erlaubt sind u.a. Vereinbarungen, die dem Lizenzgeber den passiven Verkauf in ein Exklusivgebiet oder an eine Exklusivkundengruppe vorbehalten, und Vereinbarungen, die Mitgliedern eines selektiven Vertriebssystems verbieten, an nicht zugelassene Händler zu verkaufen.
  • Die Beschränkung des passiven oder aktiven Verkaufs an Endverbraucher, sofern diese Beschränkung einem Lizenznehmer auferlegt wird, der einem selektiven Vertriebssystem angehört und auf der Einzelhandelsebene tätig ist, unbeschadet der Möglichkeit, Mitgliedern des Systems zu verbieten, Geschäfte von nicht zugelassenen Niederlassungen aus zu betreiben.

 

Nicht freigestellte Beschränkungen (Art. 5 TT-GVO)

Zusätzlich enthält die TT-GVO in Art. 5 eine Liste von nicht freigestellten Beschränkungen, sog. „grauen Klauseln“, die in einer Einzelprüfung untersucht werden müssen. Der Ausschluss von der Gruppenfreistellung erstreckt sich hierbei nicht auf den gesamten Vertrag, sondern betrifft nur die einzelne Klausel.

Nicht freigestellt werden Klauseln, in denen sich der Lizenznehmer mittelbar oder unmittelbar verpflichtet, dem Lizenzgeber, oder einem vom Lizenzgeber benannten Dritten, für eigene Verbesserungen an der lizenzierten Technologie, eine Exklusivlizenz oder Gesamt- bzw. Teilrechte zu gewähren.

Einzelprüfungsbedürftig sind auch Klauseln, die eine Partei mittelbar oder unmittelbar davon abhalten, die geistigen Eigentumsrechte, über die die andere Partei in der EU verfügt, anzufechten. Bei einer Exklusivlizenz bleibt es jedoch möglich, die Technologietransfer-Vereinbarung zu beenden, falls der Lizenznehmer eines oder mehrere der lizenzierten Technologierechte anficht.

Handelt es sich bei den Vertragsparteien nicht um konkurrierende Unternehmen, so gilt die Freistellung des Art. 2 nicht für Klauseln, die die Möglichkeit einer der Vertragsparteien, Forschungs- und Entwicklungsarbeiten durchzuführen, beschränken. Es sei denn, diese Beschränkung ist unerlässlich, um die Preisgabe des lizenzierten Know-hows an Dritte zu verhindern.

 

Entzug des Rechtsvorteils

Art. 6 TT-GVO enthält eine Rückausnahme für Einzelfälle, in denen eine durch Art. 2 freigestellte Vereinbarung doch negative Auswirkungen hat, die nicht mit Art. 101 Abs. 3 AEUV vereinbar sind. Die EU-Kommission darf den durch die Gruppenfreistellungsverordnung erteilten Rechtsvorteil im Einzelfall entziehen.

 

Verhältnis zu anderen GVOs

Das Verhältnis zwischen der TT-GVO und anderen Gruppenfreistellungsverordnungen ist aufmerksam zu betrachten, da diese unterschiedlich hohen Voraussetzungen für eine mögliche Freistellung bestimmen. Gerade die Kernbeschränkungen sind je nach GVO verschieden stark.

Gemäß Art. 9 TT-GVO haben die Forschung und Entwicklung(F&E)-GVO und die Spezialisierungs-GVO Vorrang vor der TT-GVO. Die Vertikal-GVO ist hingegen subsidiär gegenüber allen anderen GVOs.

Besonders problematisch ist die Einstufung von Grenzfällen. So wird zum Beispiel die Anwendbarkeit der TT-GVO für Verträge bejaht, in denen die Vertragsparteien neben einer F&E-Kooperation auch einen Lizenzvertrag mit Dritten abschließen oder ein zu diesem Zweck gegründetes Gemeinschaftsunternehmen (Joint Venture) dies tut. Werden Technologien in das Joint Venture eingebracht, ist fraglich, welche GVO vorgeht.

Bei Spezialisierungsvereinbarungen ist nach der Art der Vereinbarung zu unterscheiden. Einseitige und gegenseitige Spezialisierung zwischen zwei konkurrierenden Unternehmen werden nach der Spezialisierungs-GVO geprüft. Soweit aber das Element des Technologietransfers dominiert, greift die TT-GVO.

Reine Vertriebslizenzen fallen aufgrund des fehlenden Technologietransfers unter die Vertikal-GVO. Für reine Herstellungslizenzen ist dagegen die TT-GVO anwendbar. Bei gemischten Herstellungs- und Vertriebsvereinbarungen ist die Einstufung nicht so eindeutig. Es kommt darauf an, ob der Vertrag schwerpunktmäßig die Herstellung oder den Vertrieb des Produktes betrifft.

 

Ausblick

Die TT-GVO gilt zunächst bis zum 30. April 2026. Frühzeitige Änderungen werden nicht für erforderlich gehalten und sind nicht zu erwarten.

 

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