In Compact

HP COMPACT | im Oktober 2020 |

Die indirekte Nutzung von Software beschreibt ein Phänomen aus der Vertragspraxis zwischen Herstellern von sogenannter ERP-Software und den jeweiligen Vertragspartnern, den Lizenznehmern. So ist zu beobachten, dass ERP-Anbieter den Begriff der Nutzung in ihren AGB immer weiter ausdehnen, um möglichst viele Aktivitäten der Lizenznehmer im Zusammenhang mit der ERP-Software von der Lizenzierungspflicht zu erfassen. Es geht im Kern um einen grundlegenden, dem Urheberrecht immanenten Konflikt zwischen Hersteller und Anwender, nämlich um die Frage: Wie weit ist der Hersteller an den wirtschaftlichen Früchten seines Werkes zu beteiligen?

 

Begriff

Der Begriff „indirekte Nutzung“ selbst ist dem Urheberrecht nicht bekannt. Er umschreibt vielmehr einen Teil der bereits angesprochenen Vertragspraxis. In den AGB finden sich häufig Klauseln, nach denen auch der gezielte Zugriff auf die (ERP-)Software durch eine andere, externe Drittanbietersoftware eine lizenzpflichtige Nutzung darstellen soll. Hierfür hat sich der Begriff „indirekte Nutzung“ etabliert. Schon die Kommunikation zwischen den Softwares über entsprechende Schnittstellen, an der kein menschlicher Nutzer aktiv beteiligt ist, wird in der Praxis häufig lizenz- und damit kostenpflichtig gestellt. Diese Kommunikation kann zu unterschiedlichsten Zwecken und in ganz verschiedener Intensität erfolgen. Dazu zwei Beispiele, die jeweils Extreme darstellen dürften und den Rahmen dessen abstecken, was unter dem Begriff der indirekten Nutzung diskutiert wird:

 

Zeiterfassungssysteme

Ein Unternehmen hat an den Ein- und Ausgängen Terminals installiert, an denen die Mitarbeiter mithilfe von Transpondern ihre Komm- und Gehzeiten erfassen. Das Terminal, welches über eine eigenständige (Dritt-)Software betrieben wird, sendet diese Daten an das ERP-Programm.

Die Intensität der Nutzung der ERP-Software ist äußerst gering, die Software liest lediglich die Daten des Terminals aus, sogenannten Read-Only-Nutzung.

 

Pooling

Ein produzierendes Unternehmen verfügt über eine Datenbank in ihrer ERP-Software, welche die gelagerten Warenbestände erfasst. Nun wird vom Unternehmen eine Software programmiert, die es Mitarbeitern ermöglicht, auf diese Datenbank zuzugreifen. Diese Software ist so gestaltet, dass (nur) sie dauerhaft mit der ERP-Software verbunden bleibt. Gleichzeitig können aber beliebig viele Mitarbeiter jederzeit auf die Software und damit mittelbar auch auf die Datenbank zugreifen.

Hier wird das ERP-Programm sehr intensiv von der Drittsoftware genutzt. Es besteht faktisch kein Unterschied zwischen direktem oder mittelbarem Zugriff auf die Datenbank.

Gemeinsam ist beiden Fällen die Frage, wie viele Lizenzen für diese Art der Nutzung erforderlich sind. Dazu muss man wissen, dass ERP-Software in der Regel nach dem sogenannten Named-User-Modell lizenziert wird. Die maximale Anzahl an Usern wird also von den Vertragsparteien fest vereinbart und jeder User ist personalisiert. Jede Nutzung, die nicht von einem Named-User gedeckt ist, muss gegebenenfalls nachlizenziert werden. Häufig geschieht dies im Anschluss an ein Audit des ERP-Herstellers. Das grundlegende Problem, über das intensiv gestritten wird, aber bleibt, wenn auch an anderer Stelle: Ist eine indirekte Nutzung ein Named-User oder nicht?

 

Aktuelle Situation

Ungeachtet der rechtlichen Hintergründe lohnt es sich, einen Blick auf die aktuelle Situation zu werfen, um die Brisanz dieses Konflikts zu verstehen. Nur so viel sei vorweggenommen, die Thematik ist rechtlich hochumstritten. Genau diese Unklarheit der Rechtslage ist aber auch der Grund dafür, weshalb sich viele Lizenznehmer in die Ecke gedrängt fühlen. Man darf nicht vergessen, dass Unternehmen häufig in höchstem Maße existenziell abhängig von der ERP-Software sind. Das gesamte Waren- und Personalmanagement, die Logistik und viele andere Kernbereiche der unternehmerischen Tätigkeit werden nicht selten über die ERP-Software abgewickelt. Würde diese Software plötzlich wegfallen, stünde das Unternehmen vor großen wirtschaftlichen Problemen.

Dieses faktische Abhängigkeitsverhältnis führt zu einer geschwächten Verhandlungsposition gegenüber dem ERP-Anbieter. Mitnichten kann hierbei von einem Vertragsverhältnis auf Augenhöhe gesprochen werden. Im Zweifel wird ein Unternehmen die nachträglichen Lizenzierungskosten eher widerwillig hinnehmen, als sich auf einen Rechtsstreit mit einem Großkonzern einzulassen. Daneben werden aber auch rechtspolitische Interessen deutlich. Es geht bei der indirekten Nutzung von Software nicht nur um Lizenzkosten sondern auch um grundlegende Themen wie Datenhoheit und unternehmerische Unabhängigkeit.

Auf Seiten der ERP-Anbieter ist aber auch zu sehen, dass die voranschreitenden technischen Möglichkeiten die wirtschaftliche Partizipation des Urhebers an seinem Werk erschweren bzw. beschränken kann. So wird durch die rein maschinell ablaufende Kommunikation zwischen Maschinen die menschliche Arbeit in vielen Bereichen entbehrlich. Damit sinkt zumindest in erster Linie auch zwangsläufig der Bedarf an Named-Usern und mit ihnen der potentielle Kundenkreis. In der rein maschinellen Kommunikation könnte man in Einzelfällen sogar Versuche der Lizenznehmer erkennen, die Lizenzierungspflicht bewusst zu umgehen.

Umso dringender ist es erforderlich, rechtliche Klarheit für alle Beteiligten zu schaffen. Doch höchstrichterliche Rechtsprechung des BGH oder ein Aktivwerden des Gesetzgebers sind aktuell nicht in Sicht. Lediglich der High Court of Justice (England/Wales) hat in einem Verfahren zwischen SAP und Diageo geurteilt, dass die Lizenzierungspflicht von SAP für die indirekte Nutzung rechtmäßig sei. Davon geht selbstredend aber keinerlei Bindungswirkung für deutsche Gerichte im Umgang mit deutschem Urheberrecht aus.

 

Rechtliche Hintergründe

Um das rechtliche Problem rund um das Thema indirekte Nutzung zu verstehen, ist ein systematisches Vorgehen unabdingbar. Vorab sei noch betont, dass innerhalb dieses Problemfeldes kaum allgemeingültige Aussagen getroffen werden können. Dies ist bedingt durch die äußerst verschiedenen Arten der Nutzung, vor allem in technischer Hinsicht.

Zunächst muss überhaupt einmal eine Nutzung im Sinne des Urheberrechts vorliegen. Nur dann kann ein rechtmäßiges wirtschaftliches Interesse des ERP-Anbieters an Lizenzgebühren bestehen. Den Begriff der Nutzung verwendet das Urhebergesetz (UrhG) nicht, sondern knüpft in § 69c UrhG an die sogenannten zustimmungsbedürftigen Handlungen an. Dabei handelt es sich um Handlungen, die im Grundsatz ausschließlich dem Urheber, d.h. dem ERP-Anbieter zustehen. Im Umkehrschluss bedarf jede der dort aufgeführten Handlungen der (vertraglichen) Zustimmung. Als Gegenleistung für die Zustimmung kann der ERP-Anbieter Lizenzgebühren verlangen. Als Anknüpfungspunkt für die indirekte Nutzung kommen nur Vervielfältigungshandlungen gemäß § 69c Nr. 1 UrhG in Betracht. Eine Vervielfältigungshandlung soll jedenfalls beim Zugriff auf den Quellcode der ERP-Software vorliegen. Aufgrund der ganz unterschiedlichen und teils hochkomplexen technischen Kommunikationsabläufe soll eine Vervielfältigungshandlung für die Zwecke dieses Beitrags unterstellt werden. Der Begriff der Vervielfältigung wird aber ohnehin weit ausgelegt, sodass diese in aller Regel in Fällen der indirekten Nutzung vorliegt.

Ein Schwerpunkt der rechtlichen Problematik liegt in der Ausnahmevorschrift zur Zustimmungsbedürftigkeit. Im Grundsatz sieht das Urheberrecht nämlich vor, dass sich die Vertragsparteien über den Umfang und die Art der Nutzung einigen. Der Gesetzgeber lässt den Parteien hier bewusst einen großen Spielraum. Allerdings bestimmt § 69d Abs. 1 UrhG, dass es einen abredefesten Kern der Nutzung gibt, über den gerade nicht verfügt werden kann. Hiernach darf dem Lizenznehmer eine Vervielfältigungshandlung nicht verboten werden, wenn sie für die bestimmungsgemäße Benutzung der Software notwendig ist. Der Gesetzgeber statuiert damit einen unverzichtbaren Kern der Softwarenutzung.

Das wirft zunächst die Frage auf, was denn unter einer bestimmungsgemäßen Nutzung zu verstehen ist. Im nächsten Schritt stellt sich dann zwangsläufig die Frage, ob die indirekte Nutzung der Software bestimmungsgemäß ist. Der Wortlaut von § 69d Abs. 1 UrhG zeigt, dass es sich beim abredefesten Kern um den absolut erforderlichen Mindestumfang der Nutzung handeln muss, ohne die eine Überlassung der Software keinen Sinn mehr hätte. In den Erwägungsgründen der dieser Vorschrift zugrunde liegenden EU-Richtlinie ist diesbezüglich das Laden und Ablaufenlassen der Software selbst erwähnt. Wie auch immer man nun genau die bestimmungsgemäße Nutzung definiert, die indirekte Nutzung kann davon jedenfalls nicht erfasst sein. Denn das würde bedeuten, dass es zum unverzichtbaren Kern der Nutzung gehört, dass die ERP-Software über ihre Schnittstelle mit Drittsoftware kommuniziert, ohne dass hierfür Lizenzkosten anfallen dürften. Die kostenfreie Nutzung zum absoluten Mindestumfang der Nutzung zu erklären, würde deutlich über die gesetzgeberische Intention hinausgehen. Würde bei abstrakter Betrachtung die indirekte Nutzung selbst im Sinne von § 69d Abs. 1 UrhG zur bestimmungsgemäßen Benutzung der Software notwendig sein, so müssten auch Extrembeispiele wie das oben umschriebene „Pooling“ hiervon gedeckt sein. Dabei handelt es sich aber offensichtlich um eine bloße Umgehung der Lizenzierungspflicht, auch Kritiker der ERP-Anbieter dürften hier zu keinem anderen Ergebnis gelangen. Dann aber darf auch nichts anderes für weniger nutzungsintensive Beispiele der indirekten Nutzung gelten. Mit anderen Worten: Man kann nicht abstrakt die indirekte Nutzung als bestimmungsgemäß ansehen, wenn es bestimmte Formen dieser Nutzung gewiss nicht sind.

Abgesehen vom Begriff der bestimmungsgemäßen Nutzung wird häufig das Dekompilierungsrecht aus § 69e Abs. 1 UrhG angeführt, um eine kostenfreie indirekte Nutzung zu rechtfertigen. Hinter diesem Begriff versteckt sich das Recht des Lizenznehmers auf eine interoperable, d.h. mit Schnittstellen ausgestattete Software. Er darf zur Not ohne Zustimmung des Rechteinhabers diese Interoperabilität selbst herbeiführen, indem er z.B. Schnittstellen selbst programmiert.

Aus diesem Recht nun abzuleiten, der Lizenznehmer dürfe die Schnittstellen kostenlos nutzen, wenn er sie schon selbst herstellen darf, ginge zu weit. § 69e UrhG enthält nämlich keine Aussage dazu, wer die geschaffene Schnittstelle nutzen darf. Damit korrespondiert unmittelbar die Frage, ob die Nutzung lizenzpflichtig ist oder nicht, denn die Befugnis zur Nutzung entscheidet letzten Endes über die Kostenpflicht. Das Dekompilierungsrecht ist außerdem eng auszulegen. So bestimmt § 69e Abs. 3 UrhG, dass die Vorschrift so auszulegen ist, dass ihre Anwendung die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht unzumutbar verletzt. Für eine lizenznehmerfreundliche Auslegung ist kein Spielraum eröffnet. Es bleibt dabei, eine kostenlose Schnittstelle berechtigt nicht automatisch zur kostenlosen Nutzung der Schnittstelle.

 

Aussicht

Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die indirekte Nutzung von Software in den allermeisten Fällen zustimmungsbedürftig ist. Als Folge dessen können ERP-Hersteller eine Vergütung hierfür verlangen und notfalls nachträgliche Lizenzkosten geltend machen, dann als Schadensersatzanspruch nach § 97 Abs. 2 UrhG. Kurzum: vertragliche Vereinbarungen, wonach die indirekte Nutzung von Software kostenpflichtig sein soll, sind mit dem deutschen Urheberrecht vereinbar.

Auch wenn durchaus Sympathie für die Position der Lizenznehmer besteht, ändert dies nichts an den rechtlichen Gegebenheiten. Hier ist der Gesetzgeber gefragt. Das Thema der indirekten Nutzung von Software ist dabei nur einer von vielen Konfliktherden zwischen Urhebern und Lizenznehmern, insbesondere im Zusammenhang mit Software. In Zukunft scheint hier eine klare Positionierung unausweichlich.

Bis dahin bleibt es abzuwarten, ob vielleicht doch noch (höchst-)gerichtliche Entscheidungen zu dem Thema ergehen. Daneben ist aktuell ein Beschwerdeverfahren des VOICE e.V. gegen SAP vor dem Bundeskartellamt anhängig, über das noch nicht entschieden wurde. Es bleibt also spannend.

Hier können Sie sich das HP Compact als pdf-Datei kostenlos downloaden.

Steffen Töhte, Rechtsreferendar, Hannover

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