HP COMPACT  | im November 2015  |
Sabine Reimann, Rechtsanwältin
in Hannover |

 

Industrie 4.0 wirft viele neue Fragen zur menschlichen Arbeit auf. Das Bundesministerium für Arbeit hat sich mit dem Grünbuch „Arbeiten 4.0“, im April 2015 vorgestellt, bereits intensiv mit der Entwicklung der Arbeit unter Industrie 4.0 auseinandergesetzt. Bis Ende 2016 wird der Dialogprozess Arbeiten 4.0 als Rahmen für einen teils öffentlichen, teils fachlichen Dialog über die Zukunft der Arbeitsgesellschaft dienen. Das Grünbuch enthält eine Reihe konkreter Leitfragen, die unter Einbindung von Fachleuten aus Wissenschaft und Wirtschaft, Sozialpartnern und Verbänden behandelt werden sollen.

 

Wie wird die Arbeit der Zukunft unter Industrie 4.0 aussehen?

Es wird weniger Maschinenbediener als vielmehr Erfahrungsträger und Entscheider geben und damit hebt sich die klare Abgrenzung zwischen Produktions- und Wissensarbeit auf. Denken und Handeln über den eigenen Fachbereich hinaus werden immer wichtiger. So ist die IT-Kompetenz in Zukunft Voraussetzung für die Arbeit in Industrie 4.0. Die erhöhten Anforderungen im Hinblick auf Komplexität, Flexibilität und auch Problemlösung führen zu einem gesteigerten Bedarf an Verständnis für das Zusammenspiel aller Akteure im Wertschöpfungsprozess.

Zwar wird es einfache Tätigkeiten, die von Beschäftigten mit einem geringeren Qualifikationsniveau, wie zum Beispiel Verwaltungs- oder Hilfsarbeiten, ausgeführt werden, auch in Zukunft geben. Sobald aber Maschinen kostengünstiger diese Arbeiten ausführen können, wird sich der Druck, dass diese Tätigkeiten durch technische Lösungen ersetzt werden, erhöhen.

Arbeit wird zunehmend zeit- und ortsunabhängiger. Dadurch entstehen zum einen Chancen für eine weiterentwickelte Organisation der Arbeit, wie zum Beispiel eine größere Flexibilisierung und neue Arbeitszeitmodelle (Home-Office, Gleitzeit, Vertrauensarbeitszeit, Arbeitszeitkonten oder Jobsharing), aber zum anderen eben Gefahren für den Arbeitnehmer im Bereich Gesundheit am Arbeitsplatz. Die Anforderungen an Flexibilität, Erreichbarkeit, Mobilität und Selbstorganisation haben insbesondere durch die Nutzung mobiler Arbeitsmittel (Smartphones, Laptops, Tablet-PCs) ein Niveau erreicht, dass nicht ohne Auswirkung auf die Gesundheit der Beschäftigten bleibt. Unbestritten ist, dass die aktuellen Befunde zur Zunahme psychischer Belastungen, Stress und Burn-Out mit neuen Anforderungen bei den Arbeitsbedingungen in Zusammenhang stehen.

Möglicherweise wird die Digitalisierung in einigen Bereichen dazu führen, dass klassische Unternehmensstrukturen nicht mehr zeitgemäß sind und sich auflösen. Auf Grund moderner Kommunikationsmittel werden vielleicht die hierarchisch geleiteten Abteilungen und Unterabteilungen weniger benötigt, da in wechselnden Zusammensetzungen die Arbeit geleistet werden wird.

Faktoren wie lebenslanges Lernen auf der einen Seite und die Aus- und Weiterbildung der Mitarbeiter auf der anderen Seite sind Kernpunkte der Arbeit in Industrie 4.0.

Möglicherweise sind neue Arbeitszeit- oder Entgeltmodelle nötig, um die Mitarbeiter mitnehmen zu können.

 

Individualarbeitsrecht

Im Individualarbeitsrecht geht es darum, die Vorstellungen der Arbeitsgeber und der Arbeitnehmer über die Bedingungen des Arbeitsverhältnisses aneinander anzugleichen. Sind die derzeitigen Arbeitsverhältnisse, im Hinblick auf die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine, noch zeitgemäß? Können die starken Absatzschwankungen, die aufgrund der Individualisierung der Produkte erwartet werden, durch die bestehenden Arbeitsverhältnisse abgedeckt werden? Wie kann Beschäftigung in Zukunft aussehen? Gibt es die Notwendigkeit, die bestehenden Arbeitsverträge zu ändern, zum Beispiel unter dem Aspekt Pflicht zur Weiterbildung?

 

Beschäftigungsarten

Um die auch derzeit schon vorhandenen Kapazitätsschwankungen beim Personal aufzufangen, wird auch heute bereits – neben der Stammbelegschaft – auf Zeitarbeit und Werkverträge zurückgegriffen.

 

Zeitarbeit

Die Zeitarbeit ist seit 1972 geregelt im Gesetz zur Regelung der Arbeitnehmerüberlassung. Der Verleiher benötigt eine Erlaubnis, die von der zuständigen Agentur für Arbeit erteilt wird. Der Vertrag zwischen Verleiher und Entleiher muss schriftlich abgeschlossen werden und die besonderen Merkmale der für den Leiharbeitnehmer vorgesehenen Tätigkeiten, die dafür erforderlichen beruflichen Qualifikationen sowie die Arbeitsbedingungen von vergleichbaren Arbeitnehmern der Stammbelegschaft enthalten.

Aus Sicht des Arbeitgebers als Entleiher ergeben sich durch die Leiharbeitsverträge einige Vorteile. Der Entleiher ist flexibler in der Anzahl der Beschäftigten; jederzeit kann ein Mitarbeiter entliehen werden. Er zahlt keine Sozialabgaben; die werden vom Verleiher bezahlt. Außerdem hat er keine Kündigungsschutzregelungen zu beachten. Andererseits kann es auch eintreten, dass ein Arbeitgeber relativ kurzfristig nicht über Leiharbeiter verfügen kann.

Aus Sicht des Leiharbeitnehmers ist zu berücksichtigen, dass er nur bis zu maximal einem Jahr pro Entleihung an einen Entleiher entliehen werden kann und dass es zu unterdurchschnittlichen Arbeitsentgelten kommen kann. Zwar sieht das AÜG eine Gleichbehandlung i.S.d. equal pay vor, das Gesetz hat aber hiervon die Möglichkeit der Abweichung durch Tarifverträge eröffnet. Von dieser Möglichkeit wurde flächendeckend Gebrauch gemacht.

Nicht zuletzt kann aus Sicht des Verleihers der administrative Aufwand erhöht sein.

Das AÜG findet bei einer Arbeitnehmerüberlassung zwischen Konzernunternehmen im Sinne des § 18 Aktiengesetzes (AktG) keine Anwendung, wenn der Arbeitnehmer nicht zum Zweck der Überlassung eingestellt und beschäftigt wird. Sind ein herrschendes und ein oder mehrere abhängige Unternehmen unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst, so bilden sie einen Konzern; die einzelnen Unternehmen sind Konzernunternehmen. Unternehmen, zwischen denen ein Beherrschungsvertrag (§ 291 AktG) besteht oder von denen das eine in das andere eingegliedert ist (§ 319 AktG), sind als unter einheitlicher Leitung zusammengefasst anzusehen. Von einem abhängigen Unternehmen wird vermutet, dass es mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet. Die Regelung in Absatz 3 Nr. 2 stellt klar, dass die Privilegierung des Konzernverleihs nicht für die Arbeitnehmerüberlassung durch Personalführungsgesellschaften gilt, deren Zweck die Einstellung und Überlassung von Personal ist.

Im Vergleich zum Werkvertrag sind weiterhin die Beteiligungsrechte des Betriebsrates zu berücksichtigen, sowie die Tatsache, dass die Leiharbeitnehmer im Betrieb des Entleihers dieses Gremium mitwählen dürfen.

 

Werkverträge

Man könnte auch an flexiblere Werk- und Dienstverträge denken, auch um Knowhow von außen in das Unternehmen zu holen. Der Unternehmer überträgt bestimmte Aufgaben im Rahmen eines Werkvertrags auf einen Werk- oder Subunternehmer. Der Werkunternehmer verpflichtet sich, eine bestimmte Leistung (das Werk) zu erbringen bzw. herzustellen, d.h. der Erfolg ist geschuldet. Dieser erledigt die Arbeit mit eigenem Personal. Da Werkunternehmer häufig nicht tarifgebunden sind, können sie Arbeiten zu günstigeren Konditionen anbieten als Leiharbeitsfirmen oder der Unternehmer selbst.

Bei der Vergabe von Aufträgen an Werkunternehmer oder externe Dienstleister ist der Betriebsrat nicht zu beteiligen. Das ist auch ein Grund, weshalb Werkverträge oder Verträge mit externen Dienstleistern so beliebt sind.  Die Vorteile für Unternehmen liegen auf der Hand:

  • die Rechtsrisiken für den Arbeitgeber sinken,
  • die Personalkosten sinken,
  • Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats bestehen – wenn überhaupt – nur eingeschränkt und
  • der Kündigungsschutz für Werksarbeitnehmer gilt gegenüber dem Werksvertragsunternehmer und nicht gegenüber dem Auftragnehmer.

Als Nachteil könnte sich u.a. der Verwaltungsaufwand, den Werksvertrag so auszugestalten, dass die tatsächliche Ausführung möglich ist, herausstellen. Denn hier können sich Probleme hinsichtlich der rechtlichen Einordnung des Vertrages ergeben. Es kommt entscheidend auf die tatsächliche Ausführung und Überwachung der Arbeiten an. Dagegen ist nicht entscheidend, wie ein Vertrag bezeichnet ist und wie die zu erbringenden Leistungen dort beschrieben sind. Je näher jedoch der Werkvertrag an die Arbeitnehmerüberlassung rückt, desto größer ist das Risiko, dass es sich tatsächlich nicht um einen Werkvertrag handelt. Dies gilt insbesondere in den Fällen, in denen die Tätigkeiten in den Räumlichkeiten des Auftraggebers mit dessen Betriebsmitteln erledigt werden und er Weisungen hinsichtlich der eigentlichen Ausführung der Arbeiten gibt oder die einzelnen Arbeitsschritte so detailliert im „Werkvertrag“ beschrieben sind, dass dem „Werkunternehmer“ kaum eigener Entscheidungsspielraum mehr bleibt.

 

Crowdsourcing

Eine Beschäftigungsart der Zukunft könnte das so genannte crowdsourcing, das Arbeiten im Internet als Digital Worker, sein. Hierbei lagert das Unternehmen bestimmte Tätigkeiten aus und vergibt die Aufgaben an Menschen außerhalb des Unternehmens.

Vorteil für das Unternehmen ist es, dass es weltweit auf ein großes Reservoir an Arbeitskräften zugreifen kann. Zu den Tätigkeiten können relativ einfache Tätigkeiten, wie Schreiben von Produktbeschreibungen oder Recherchieren von Adressen, aber auch komplexe Tätigkeiten wie das Schreiben von Computerprogrammen gehören. Auf keinen Fall ist außer Acht zu lassen, dass es auch für diese Beschäftigungsart vertragliche Regelungen zu Datenschutz, Patentrechten oder Betriebsspionage geben muss.

Die Crowdworker als Freelancer hingegen haben zwar die Vorteile, die Arbeit leichter zu erlangen und unter freier Arbeitseinteilung arbeiten zu können, haben aber keinen Anspruch auf übliche Arbeitnehmerrechte wie Kündigungsschutz, Entgeltfortzahlung oder Urlaub.

 

Flexi-Verträge

Im Zuge der schon begonnenen Flexibilisierung der Arbeitszeit haben Überstundenarbeit und Arbeitszeitkonten wesentlich an Bedeutung gewonnen, um kurz- und mittelfristige Schwankungen in der Nachfrage aufzufangen. Während aber bezahlte und unbezahlte Überstunden nur bei steigender, positiver Nachfrage zur Auftragsbewältigung eingesetzt werden können, werden auf den Arbeitszeitkonten bei steigender Nachfrage Zeitguthaben gebildet und bei sinkender Nachfrage wieder abgebaut. Arbeitszeitkonten ermöglichen damit im Vergleich zu Überstunden sowohl eine Flexibilität nach oben als auch nach unten, bei variablen Ausgleichszeiträumen.

Unterschieden wird zwischen Kurzzeit- und Langzeitkonten. Langzeitkonten sind ein Instrument zur individuellen Lebensarbeitszeitgestaltung. Das steuer- und sozialversicherungsfreie Ansparen von Entgelt steht dem Verzicht des Arbeitnehmers auf Entgelt für geleistete Arbeit entgegen. Das Langzeitkonto dient der Abwicklung von zukünftigen Freistellungszeiten unter Fortzahlung von Arbeitsentgelt.

Kurzzeitkonten (oder auch Flexi-, Ausgleichs- oder Jahresarbeitszeitkonten) hingegen werden über Zeiträumen von meist bis zu einem Jahr geführt. Auf der einen Seite kann durch eine kapazitätsorientierte Verteilung von Arbeitszeiten auf betrieblicher Ebene flexibel auf Marktentwicklungen reagiert werden, andererseits werden Beschäftigte dann an das Unternehmen gebunden, weil anfallende Überstunden für private Belange oder Qualifizierungen genutzt werden können. Die hierdurch entstehende höhere Arbeitszeitensouveränität für die Beschäftigten wirkt sich positiv auf die Mitarbeiterzufriedenheit aus.

Als Beispiel für ein Kurzzeitkonto sei hier das „Korridormodell“ genannt. Es sieht vor, dass die vertraglich geregelte Arbeitszeit über einen bestimmten Zeitraum, der anhand der benötigten Kapazitäten und der Abläufe im Betrieb festgelegt wird und dadurch nicht unbedingt einem Kalenderjahr umfassen muss, erreicht werden muss. Der Arbeitgeber legt unter Vorankündigung Höchst- und Niedrigzeiten fest. Der Arbeitnehmer arbeitet im Rahmen eines so genannten Korridors von z.B. einer Monatsarbeitszeit im Plusbereich und einer Wochenarbeitszeit im Minusbereich. Der Monatslohn ist verstetigt und nicht abhängig von der tatsächlich erbrachten Arbeitsleistung. Verlässt der Arbeitnehmer den Korridor über den Plusbereich hinaus, wird ihm die Arbeit als Mehrarbeit entgolten. Gerät der Arbeitnehmer auf Grund von Kurzarbeit über den Minusbereich des Korridors hinaus, tritt die Agentur für Arbeit mit der Entgeltleistung anstelle des Arbeitgebers ein.

 

Arbeit auf Abruf

Laut §12 Teilzeit- und Befristungsgesetz können Arbeitnehmer und Arbeitgeber vereinbaren, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung entsprechend dem Arbeitsaufwand zu erbringen hat. Die Vereinbarung muss eine bestimmte Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit festlegen. Dabei geht das BAG davon aus, dass die „bestimmte Dauer“ in §12 I S.2 keine feste Arbeitszeit verlangt, da die mit der Abrufarbeit bezweckte Flexibilisierung nur erreicht werden kann, wenn hinsichtlich der Dauer der wöchentlichen und täglichen Arbeitszeit keine starren gesetzlichen Vorgaben bestehen. Wenn absehbar ist, dass nicht immer die volle Arbeitsleistung gebraucht wird, können 25% der Mindestarbeitszeit (oder, anders gerechnet, 20% der Gesamtarbeitszeit) flexibilisiert werden. Der Arbeitgeber kann über diese Zeit frei verfügen.

Ist eine tägliche bzw. wöchentliche Arbeitszeit nicht festgelegt, gelten drei aufeinander folgende Stunden täglich bzw. zehn Stunden wöchentlich als vereinbart. Der Arbeitgeber muss dem Arbeitnehmer die Lage seiner Arbeitszeit jeweils mindestens vier Tage im Voraus mitteilen. Hieraus könnte sich die Problematik ergeben, dass der Arbeitgeber kurzfristig auch ohne Arbeitnehmer auskommen müsste.

Einerseits hat der Mitarbeiter die Sicherheit, dass die vereinbarte Mindestarbeitszeit auf jeden Fall vergütet wird – und die Chance, bei erhöhtem Arbeitsanfall mehr zu verdienen. Andererseits kann der Unternehmer wesentlich flexibler disponieren, als es bisher möglich war. Die einzige Einschränkung besteht für ihn darin, dass er die flexible Arbeitszeit nach § 12 Abs. 2 TzBfG vier Tage im Voraus abrufen muss.

Von dieser Regelung kann durch Tarifvertrag auch zuungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden.

 

Arbeitsschutz

Zum Arbeitsschutz werden die Maßnahmen, Mittel oder Methoden zum Schutz der Beschäftigten vor arbeitsbedingten Sicherheits- und Gesundheitsgefährdungen gezählt. Beschäftigte sind u.a. laut §2 II Nr. 1 ArbSchG Arbeitsnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Der Arbeitsschutz wird unterschieden in den allgemeinen und den sozialen Arbeitsschutz.

Der allgemeine Arbeitsschutz soll das Leben und die Gesundheit der Arbeitnehmer schützen. Außerdem soll die Arbeitskraft erhalten werden und das Arbeitsumfeld und die Arbeit menschengerecht ausgestalten werden.

Unter den sozialen Arbeitsschutz fallen Regelungen zu beispielsweise Arbeitszeiten und Kündigungsschutz.

Bei der Industrie 4.0 müssen die Arbeitsschutzgesetze im Hinblick darauf, ob sie der qualifizierten flexibleren Arbeit von Morgen genüge sind, näher betrachtet werden.

 

Betrieblicher Gesundheitsschutz

Aus zweierlei Sicht kommen auf den betrieblichen Gesundheitsschutz neue Aufgaben zu.

Zum einen kann die Zusammenarbeit mit intelligenter Technologie zu Gefährdungen der körperlichen Gesundheit führen. Denn neben den Arbeitskräften kann auch die Technologie an sich Prozesse steuern. Ein Beispiel sind Roboter, die nicht mehr innerhalb von Schutzkäfigen eingesetzt werden, sondern als „kollaborierende Roboter“ Hand in Hand mit den Beschäftigten arbeiten. Diese Leichtbauroboter können Zusammenstöße und Quetschungen verursachen. Solche Unfälle zu verhindern, ist derzeit eine große Aufgabe für die Arbeitsgestaltung. Der Arbeitsschutz fordert, dass Menschen nicht durch die Technologie gefährdet werden.

Erste Schritte in diese Richtung sind kollaborierende, sensitive Leichtbauroboter mit so genannten sensorischen Schutzmänteln, die bereits heute z.B. in der Automobilindustrie im Einsatz sind. Sie reagieren auf Berührungen oder halten an, wenn der Mensch ihnen in die Quere kommt. Außerdem werden bereits Kamerasysteme zur Überwachung der Roboteraktivitäten in Kollaboration mit Menschen eingesetzt und immer weiter verbessert.

Auch psychische Belastungen können durch die Zusammenarbeit mit intelligenter Technologie entstehen. Menschen werden in hybriden Systemen eine hohe Verantwortung tragen, während sie zugleich der Technologie unterlegen sind. Sie können weit weniger Daten verarbeiten und weniger Komplexität berücksichtigen als Maschinen – zugleich aber wird von ihnen erwartet, Fehler der technologischen Systeme schnell zu korrigieren. Dies können sie aber immer weniger, weil ihnen durch die Automatisierung eigene Erfahrungen mit der Prozesssteuerung und damit Kompetenzen verloren gehen.

Die ständige Erreichbarkeit über Smartphone, Tablet & Co. hat in den letzten Jahren ihren Tribut gefordert – in Form von Stress und psychischen Erkrankungen bei vielen Beschäftigten.

 

Zeitliche und räumliche Entgrenzung der Arbeit

Ist die flexible Arbeit, die Industrie 4.0 voraussetzt, auch unter Anwendung der bestehenden Gesetze im Hinblick auf Arbeitszeit und Arbeitsort möglich?

Der Zweck des Arbeitszeitgesetzes ist es, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeitszeitgestaltung zu gewährleisten und die Rahmenbedingungen für flexible Arbeitszeiten zu verbessern.

Das Gesetz legt in §3 eine maximale Arbeitszeit von 8 Stunden täglich bzw. 10 Stunden täglich fest, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder 24 Kalenderwochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Die gesetzlichen Ruhezeiten (§5 ArbZG) von 11 Stunden sowie das Sonntagsarbeitsverbot (§9 ArbZG) grenzen die Arbeitszeiten weiter ein. Allerdings ist nach der herrschenden Rechtsmeinung eine geringfügige Unterbrechung oder eine, die den Arbeitnehmer kaum belastet, nicht als Unterbrechung der Ruhezeit zu werten, da sie den Erholungszweck nicht gefährden. Auch hier ist also Auslegungsspielraum.

Laut § 7 ArbZG können Abweichungen zur maximalen Arbeitszeit und zu den Ruhezeiten durch Tarifverträge oder durch Betriebsvereinbarungen getroffen werden. Im Rahmen der Arbeitszeitflexibilisierung entstanden somit neben der Regelarbeitszeit Modelle wie Jahresarbeitszeit, Arbeitszeitkonten, Gleitzeit, Halbtagsarbeit, Teilzeit, Arbeitsplatzteilung oder Jobsharing, Lebensarbeitskonten, Vertrauensarbeitszeit, Modulare Arbeitszeit, Telearbeit, Zeitautonome Arbeitsgruppen, Arbeit auf Abruf und Individuelle Arbeitszeit. In § 13 ArbZG werden die Bundesländer ermächtigt, weitere Ausnahmen für die Sonntagsarbeit zu bestimmen.

Es gibt also Regelungsspielraum sowohl für die Arbeitszeiten, die Ruhezeiten als auch für das Sonntagsarbeitsverbot. Dieser müsste genutzt werden, um die noch höher flexibilisierte Arbeit in Industrie 4.0 gesetzeskonform gestalten zu können.

Auch unter dem Stichpunkt „mobile Arbeitszeit“, die wir zum Teil ja schon als Home-Office oder Bereitschaftsdienst kennen, muss prinzipiell die Arbeitszeit definiert werden. Auch bei zeitlich „entgrenzter“ Arbeit muss gesondert betrachtet werden, in wie weit die Koppelung Leistung – Entgelt nachzuvollziehen bleibt: es muss genau definiert werden, für welche Art der Leistung/ der Tätigkeit welches Entgelt zu leisten wäre (wie es das zum Beispiel schon bei der Funkbereitschaft bei der Feuerwehr gibt: Ruhezeiten werden geringer entlohnt als aktive Zeiten.)

Moderne Kommunikationsmittel ermöglichen Arbeitsleistung zeitlich flexibel, an verschiedenen Orten und in wechselnden Teams.

Durch die Arbeitsschutzvorschriften, wie z.B. die Arbeitsstättenverordnung, werden hohe bürokratische Hürden für den Mitarbeitereinsatz an anderen Orten aufgebaut. Der Arbeitgeber ist nach derzeitiger Rechtslage verpflichtet, eine Gefährdungsbeurteilung für jeden Arbeitsplatz vorzunehmen und Dokumente über das Ergebnis dieser Beurteilung bereit zu halten. Die Einschätzung fällt jedoch schwer, soweit Arbeitnehmer an wechselnden Orten außerhalb des Betriebsgeländes tätig sind. Die Pflicht zur Gefährdungsbeurteilung muss ausdrücklich auf den Bereich beschränkt werden, der dem Einflussbereich des Arbeitgebers unterliegt. Das wird auch dem Zweck des ArbSchG und der zugrundeliegenden europäischen Richtlinie 89/391/EWG gerecht: Der Arbeitnehmer soll vor Gefahren bei der Arbeitsleistung geschützt werden, aber nicht vor Gefahren, denen er sich selbst aussetzt.

In der Novelle zur Arbeitsstättenverordnung 2015 ist vorgesehen, Telearbeitsplätze im Home Office denen im Büro gleichzustellen. Dies hätte die Konsequenz, dass der Arbeitgeber auch im Privatbüro des Arbeitnehmers dafür zu sorgen hätte, dass der Arbeitsschutz, auch im Hinblick auf Ergonomie usw., eingehalten würde.

 

Vertragspflicht Weiterbildung

Welche Konsequenzen hat es, wenn ein Arbeitnehmer sich nicht fort-/weiterbilden will oder kann? Gibt es eine Pflicht zur Weiterbildung?

Der Unternehmer kann grundsätzlich das Anforderungsprofil einer Stelle ändern und damit dem Wandel hin zu Industrie 4.0 Rechnung tragen. Auch ohne eine Vertragsänderung oder eine Änderungskündigung kann der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer verlangen, dass er sich z.B. die digitalen Fähigkeiten, die für diese Stelle erforderlich sind, aneignet.

Verpflichtet der Arbeitgeber in diesem Rahmen den Arbeitnehmer zu einer Fortbildung, muss er die Kosten prinzipiell tragen. Ist diese Fortbildung im Rahmen der Arbeitszeit und überfordert den Betrieb wirtschaftlich oder steht zu erwarten, dass der Mitarbeiter die notwendigen Kenntnisse nicht erlangen kann, ist der Arbeitgeber, unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, nicht dazu verpflichtet, für eine Fortbildung zu sorgen.

Eine betriebsbedingte (Änderungs-) Kündigung kann dann gerechtfertigt sein, wenn sich das Anforderungsprofil deutlich von der Tätigkeitsbeschreibung im Arbeitsvertrag unterscheidet.

Eine Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen käme dann in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die notwenige und zumutbare Fortbildung, nach entsprechenden erfolglosen Abmahnungen, verweigert.

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