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Hannover, 01.04.2022 | Rechtliche Verbote, steigende Preise und Lieferengpässe erschweren zwar erheblich die tatsächliche Durchführung von Verträgen, entbinden aber nicht ohne weiteres von den vertraglichen Pflichten. Durch die Sanktionen sind nicht nur Verträge mit russischen Handelspartnern betroffen, indirekt können sich auch Auswirkungen auf Verträge mit deutschen oder weiteren Handelspartnern ergeben, etwa wenn russische Zulieferer involviert sind. Dazu stellen sich rechtliche Fragen zu höherer Gewalt, Störung der Vertragsgrundlage und anderes.

Vertragsstörungen mit Russland

Ulrich Herfurth, Rechtsanwalt, Hannover/Brüssel
Aline-Kristin Pehle, Juristin, Hannover

Die neuen EU-Sanktionen gegen Russland stellen Unternehmen mit Handelsbeziehungen zu russischen Unternehmen an vielen Stellen vor Herausforderungen. Rechtliche Verbote, steigende Preise und Lieferengpässe erschweren zwar erheblich die tatsächliche Durchführung von Verträgen, entbinden aber nicht per se von den vertraglichen Pflichten. Durch die Sanktionen sind nicht nur Verträge mit russischen Handelspartnern betroffen, indirekt können sich auch Auswirkungen auf Verträge mit deutschen oder weiteren Handelspartnern ergeben, etwa wenn russische Zulieferer involviert sind.

 

Pflicht zur Vertragserfüllung?

Wenn ein Vertrag die Lieferung von Waren oder die Erbringung von (Zahlungs)Dienstleistungen regelt, die direkt oder indirekt von den Sanktionen betroffen sind, bleiben vertragliche Rechten und Pflichten grundsätzlich bestehen.

Einige Sanktionsverordnungen sehen zudem Ausnahmen für bestimmte Verwendungszwecke, Altvertragsklauseln für bereits bestehende Verträge (z.B. für Verträge, die vor dem 26.02.2022 geschlossen wurden) und Abwicklungsfristen vor, sodass die Vertragspartner gar keine Schwierigkeiten bei der Vertragserfüllung treffen, obwohl die geschuldete Leistung eigentlich von den Sanktionsvorschriften betroffen ist.

Rahmenlieferverträge, die bereits bestehen, aber noch eine längere Vertragslaufzeit haben, könnten ebenfalls unter diese Altvertragsklauseln fallen.

 

Zu beachten ist außerdem, dass die Sanktionen bislang nicht den Transit von Gütern durch Russland untersagen. Eine Pflicht zur Lieferung von Sanktionsgütern, die nur das Versenden von Waren durch russisches Territorium erfordert, ist also weiterhin möglich. 

 

Befreiung von der Pflicht?

Ob ein Vertragspartner rechtliche Möglichkeiten hat, sich von einzelnen Pflichten zu befreien, Verträge anzupassen oder sich sogar von ihnen zu lösen, hängt vom Einzelfall ab und ist an enge Voraussetzungen geknüpft. Allein die Unwirtschaftlichkeit aufgrund von starken Preissteigerungen reicht grundsätzlich noch nicht aus. Auch müssen Lieferausfälle im Rahmen des übernommenen Beschaffungsrisikos grundsätzlich einkalkuliert werden. Gegebenenfalls muss der Vertragspartner die Zulieferer wechseln.

Die Möglichkeit zur Entbindung von einer Vertragspflicht ist davon abhängig, ob (1) im Vertrag selbst eine Regelung über eine Ausnahme von den vertraglichen Verpflichtungen vereinbart wurde und (2) welche Rechtswahl für den Vertrag getroffen wurde, also ob deutsches, ausländisches oder UN-Kaufrecht Anwendung finden sollen.

 

Vertragsklauseln

In Handels- und Lieferverträgen finden sich zumeist Klauseln, die sich „force majeure“- oder „Härtefall“-Klauseln“ nennen.

 

Höhere Gewalt

Die „force majeure“-Klauseln regeln die Fälle höherer Gewalt. Damit sind unvorhersehbare, nicht zu verhindernde Ereignisse gemeint, die sich der Einflussnahme durch Vertragsparteien entziehen. Die Klauseln listen auf Tatbestandsebene die Ereignisse explizit auf, die als höhere Gewalt anerkannt werden sollen. Dies sind in der Regel Ereignisse wie Naturkatastrophen, Terroranschläge, Arbeitskämpfe, Pandemien, staatliche Beschlagnahmungen und Enteignungen -sowie Embargos und Kriege. Die genannten Ereignisse werden jedoch zumeist nicht abschließend aufgezählt. Im Einzelfall muss daher geprüft werden, ob ein nicht aufgelistetes Ereignis in seinem Umfang und seinen Folgen mit den anderen Ereignissen vergleichbar ist. Der Vertragspartner muss auch darlegen können, dass dieses Ereignis unvorhersehbar und unkontrollierbar ist und konkret ursächlich für die Leistungsstörung.

In der Rechtsfolge wird der Vertragspartner, solange das genannte Ereignis fortbesteht und er seine vertragliche Verpflichtung gerade aufgrund dieses Ereignisses rechtlich oder tatsächlich nicht erfüllen kann, von der betreffenden Leistungspflicht befreit. Ihm kann wegen der Nicht-Leistung weder ein Verschulden noch ein Leistungsverzug zur Last gelegt werden – damit trifft ihn auch keine Pflicht zum Schadensersatz.

Probleme können sich ergeben, wenn russisches Vertragsrecht Anwendung finden soll und Embargos oder Sanktionen nicht aufgeführt sind in der force majeure-Klausel, da russische Gerichte Sanktionen oftmals nicht als höhere Gewalt einstufen.

 

Härtefall

Ist bei höherer Gewalt dem Vertragspartner die Erfüllung der Leistungspflicht weiterhin rechtlich und tatsächlich möglich, jedoch nur mit erheblichen praktischen und finanziellen Aufwendungen, die die Erfüllung der Pflicht über eine längere Zeit unverhältnismäßig erschweren, kann dies ein Fall einer vertraglichen Härtefall-Klausel (hardship) sein. Härtefall-Klauseln gewähren den Vertragspartnern das Recht auf Vertragsanpassung (auf zeitlicher oder preislicher Ebene) oder sogar Vertragskündigung. Allerdings sind hardship-Klauseln seltener Vertragsbestandteil als die force majeure-Klauseln.

 

Gesetzliche Vorschriften

Für einen Lösung von den Vertragspflichten oder vom Vertrag selbst kommen nicht nur entsprechende Vertragsklausel in Betracht, sondern auch gesetzliche Vorschriften. Dabei kommt es zunächst darauf an, welche Rechtsordnung Anwendung findet. Sind zwei deutsche Unternehmen die Vertragspartner, ist deutsches Recht anzuwenden. Hat jedoch ein Vertragspartner seinen Sitz nicht in Deutschland, treffen die Partien oft eine eigene Rechtswahl. Fehlt diese, findet nach der Rom I-Verordnung der EU auf Kaufverträge das nationale Recht Anwendung, in dem die Vertragspartei, die die vertragstypische Leistung schuldet, ihren Sitz hat.

 

Deutsches Recht 

Findet deutsches Recht Anwendung, kommen mehrere Normen in Betracht, die eine Befreiung von der Leistungspflicht, eine Vertragsanpassung oder die Lösung vom Vertrag ermöglichen können.

 

Unmöglichkeit der Leistung

Wenn Sanktionen den Export oder Import, die Erbringungen von (Finanz)Dienstleistungen oder Zahlungen von und nach Russland explizit und strikt verbieten, ist dem Schuldner seine Leistung rechtlich unmöglich. Ein Verstoß gegen die EU-Sanktionen ist gem. § 18 Außenwirtschaftsgesetz sogar strafbar, wenn er vorsätzlich begangen wird, bzw. nach § 19 AWG eine Ordnungswidrigkeit, wenn er fahrlässig begangen wird. Es liegt damit ein Fall der sogenannten subjektiven Unmöglichkeit vor (§ 275 Absatz 1 BGB). Wenn der Schuldner seinem Vertragspartner (= Gläubiger) diese Unmöglichkeit mitteilt und sich hierauf beruht, wird er von seiner Leistungspflicht befreit. In der Folge kann der Gläubiger wiederum vom Vertrag zurücktreten.

 

Wird der Leistungsschuldner nicht durch rechtliche Verbote, sondern durch praktische und für ihn persönlich unüberwindbare Leistungshindernisse gehindert, ist dies ein weiterer Fall der subjektiven Unmöglichkeit. Darauf könnte sich der Schuldner berufen, wenn es ihm etwa wegen kriegsbedingten Blockaden von Transportwegen nicht möglich ist, Güter von einem Ort zum anderen zu verbringen oder wenn Güter beschlagnahmt wurden. Auch hier hat der Schuldner das Leistungshindernis regelmäßig nicht zu vertreten und ist nicht schadensersatzpflichtig.

Neben der subjektiven Unmöglichkeit umfasst die Regelung des § 275 Absatz 1 BGB noch die objektive Unmöglichkeit. Diese besteht, wenn die versprochene Leistung für jedermann unmöglich ist. Denkbarer Anwendungsfall könnte die geschuldete Lieferung von Einzelanfertigungen oder die Erbringung von Dienstleistungen an ein russisches Unternehmen sein, die kein anderer auf die geschuldete Art herstellen bzw. durchführen kann, weil z.B. das individuelle Know-how des Lieferanten benötigt wird. Wenn dieses Gut oder diese Dienstleistung nun nicht mehr nach Russland exportiert werden darf, müsste sich der Schuldner auf objektive Unmöglichkeit berufen können.

 

Störung der Geschäftsgrundlage

Bei Vertragsschluss stehen die einander geschuldeten Leistungen typischerweise in einem Äquivalenzverhältnis zueinander. Wenn durch die Folgen der Sanktionen dieses Äquivalenzverhältnis massiv verschoben wird und die ausgetauschten Leistungen nicht mehr im Wert zueinander stehen, sodass ein extremes Verlustgeschäft droht, kann dies eine „Störung der Geschäftsgrundlage“ sein (§ 313 BGB).

Eine Störung der Geschäftsgrundlage erfordert, dass (1) sich wesentliche Umstände, die dem Vertrag zugrunde gelegt worden sind, sich schwerwiegend geändert haben und (2) die Parteien bei Kenntnis dieser neuen Umstände den Vertrag nicht oder nicht in der gleichen Weise geschlossen hätten und dass (3) der dadurch belasteten Partei unter Abwägung beiderseitiger Interessen das Festhalten am Vertrag nicht mehr zugemutet werden kann. In der Rechtsfolge kann der betroffene Vertragspartner eine Anpassung des Vertrages verlangen oder zurücktreten, wobei die Anpassung als milderes Mittel Vorrang hat.

 

Vor allem für den Zahlungsgläubiger bzw. Schuldner der versprochenen Güter oder Dienstleistungen kann es aufgrund extrem ansteigender Kosten für Herstellungs- und Beschaffungskosten zu einem solchen Ungleichgewicht kommen. Seine Kosten können in der Folge im Verhältnis weit über dem vereinbarten Preis bzw. der vereinbarten Vergütung liegen.

Eine massive Verschiebung des Äquivalenzinteresses kann sich auch ergeben, wenn Zahlungsverpflichtungen in einer anderen Währung geleistet werden sollen und die Kurse der eigenen und der Fremdwährung unerwartet und unvorhersehbar stark voneinander abweichen. Derzeit besteht diese Gefahr insbesondere, wenn künftig in Rubel statt EUR oder USD gezahlt werden soll. Nach deutschem Recht sollte dann eine Störung der Vertragsgrundlage anzunehmen sein. In diesem Fall hätte auch der Zahlungsgläubiger ein Recht auf Vertragsanpassung oder Rücktritt.

Auch das russische Recht kennt das Recht auf Vertragsanpassung aufgrund einer Störung der Vertragsgrundlage, allerdings werden Wechselkurs-/Devisenänderungen nach russischem Recht regelmäßig nicht als eine solche Störung anerkannt.

 

UN-Kaufrecht 

Auch das UN-Kaufrecht kennt die Befreiung von der Leistungspflicht aufgrund höherer Gewalt. In Art. 79 CISG werden die Voraussetzungen aufgrund eines bei Vertragsschluss nicht zu erwartenden „Hinderungsgrundes außerhalb des Einflussbereichs des Schuldners“ geregelt.

 

Vertragsaufhebung

Sind sich beide Parteien darüber einig, dass ein Festhalten an der Vertragsbeziehung für sie künftig nicht mehr sinnvoll und ohne größere Probleme durchführbar ist, können sie auch gemeinsam eine Vertragsaufhebung beschließen, es gilt der Grundsatz der Privatautonomie.

 

Zukünftige Verträge 

Beim Abschluss zukünftiger Verträge besteht die Möglichkeit, dass sie unwirksam oder nichtig sind, wenn die im Vertrag versprochene Leistung in den Katalog der Sanktionen fällt, da gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen wird (§ 134 BGB).

Zu beachten ist außerdem, dass sich der Schuldner einer Leistung seinem Vertragspartner gegenüber schadensersatzpflichtig machen kann, wenn er ein Leistungshindernis aufgrund der Sanktionen bereits bei Vertragsschluss kannte bzw. hätte kennen müssen (§ 311a BGB).

Wenn aufgrund der Sanktionen „nur“ Lieferschwierigkeiten entstehen oder sich verstärken könnten, sollten in die Verträge Klauseln aufgenommen werden, die in diesen Fällen das Recht auf Vertragsanpassung gewähren (z.B. Preiserhöhung oder Leistungsverweigerung) oder ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht. Bei absehbarer Zahlungsunsicherheit könnten die Parteien  zudem einen Eigentumsvorbehalt an den zu liefernden Gütern vereinbaren.
 

Investitionsschutz und Zahlungsgarantien

Unternehmer sollten außerdem beachten, dass Russland Gegenmaßnahmen gegen die westlichen Sanktionen ergreift bzw. ergriffen hat, die ausländische Investoren in Russland gefährden.

So können z.B. künftig Unternehmen aus Staaten, die Sanktionen gegen Russland verhängt haben, mit mehr als 100 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von mind. 1 Mrd. Rubel künftig unter russische staatliche Aufsicht gestellt werden. Weitere Maßnahmen der russischen Regierung sind nicht ausgeschlossen. Hinzukommt die wirtschaftliche Instabilität russischer Unternehmen. Zahlungsausfälle sind zu befürchten. Bislang konnten sogenannte „Hermesbürgschaften“ bzw. Exportkreditgarantien sowie Investitionsgarantien der Bundesrepublik für Exportgeschäfte nach Russland in Anspruch genommen werden. Diese wurden nun bis auf Weiteres gestoppt. Die Folgen werden in erheblichem Umfang auch kleine und mittelständische Unternehmen treffen.

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