In Compact

Hannover, 11.10.2022 | Die letzten Monate haben eine Reihe von wichtigen Regelungen und Entscheidungen im Arbeitsrecht mit sich gebracht, die Arbeitgeber zu beachten haben.

Besonders bedeutsam für die Praxis ist die kürzliche Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur vollen Erfassung der gesamten Arbeitszeit der Mitarbeiter. Unternehmen sollten daher tätig werden und – soweit noch nicht geschehen – entsprechende Systeme etablieren.

Andere Entscheidungen stehen im direkten oder indirekten Zusammenhang mit der Corona Pandemie. Dazu gehören das Betretungs- und Tätigkeitsverbot wegen nicht nachgewiesener Corona-Impfung und strengere Nachweispflichten des Arbeitgebers.

Arbeitsrecht aktuell

Stephanie Reese, Rechtsanwältin in Hannover

Pflicht zur Erfassung der gesamten Arbeitszeit 

Arbeitgeber müssen künftig ein System einführen, mit dem sie die gesamte von Mitarbeitern geleistete Arbeitszeit erfassen können.

Bislang mussten Arbeitgeber nur die über acht Arbeitsstunden werktäglich hinausgehende Arbeitszeit und die Arbeitszeit an Sonn- und Feiertagen erfassen. Weitergehende Erfassungspflichten bestanden nur für Minijobs, Leiharbeit und ausgewählte Branchen.

Nun aber hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) entschieden, (Urteil vom 13. September 2022 – 1 ABR 22/21), dass sich eine solche umfassende Erfassungspflicht aus § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG (Arbeitsschutzgesetz) ergibt.

Bisher wurden Verstöße gegen die Erfassungspflicht als Ordnungswidrigkeit mit einem Bußgeld von 1.600 EUR pro Fall geahndet, wobei derzeit ein Verstoß gegen die Erfassungspflicht in dem nun entschiedenen Umfang mangels entsprechender Ordnungswidrigkeiten- bzw. Straftatbeständen nicht sanktioniert wird.

 

Vertrauensarbeitszeit 

Für Vertrauensarbeitszeit war bisher bis auf die genannten Ausnahmen keine Zeiterfassung notwendig.

Nunmehr muss auch bei vereinbarter Vertrauensarbeitszeit der Arbeitgeber die gesamte Arbeitszeit erfassen. Die Zeiterfassung darf aber nur zur Sicherstellung der Einhaltung des gesetzlichen Arbeitszeitrahmens dienen. Weiterhin muss der Mitarbeiter die Möglichkeit haben, die Arbeitszeit selbstständig einzuteilen. Zudem muss der Arbeitgeber ihm zusichern, dass er nicht überprüft, ob der Mitarbeiter die vereinbarte Arbeitszeit tatsächlich geleistet hat.

 

Schnelles Handeln der Unternehmen erforderlich?

Arbeitgeber müssen eigentlich sofort ein entsprechendes Zeiterfassungssystem einführen. Da es aktuell allerdings keine angepassten Ordnungswidrigkeiten- bzw. Straftatbestände gibt, sollten Unternehmen erst ein sorgfältig geplantes, wirksames System entwickeln, anstatt vorschnell zu handeln.

 

Streitpunkt des zugrundliegenden Falls

In dem vom BAG entschiedenen Fall stritten Betriebsrat und Arbeitgeber darüber, ob der Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Zeiterfassungssystems hat. Das BAG führte aus, dass der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 BetrVG in sozialen Angelegenheiten nur mitzubestimmen habe, soweit eine gesetzliche oder tarifliche Regelung nicht bestehe. Die mit EU-Recht konforme Auslegung des § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ergebe, dass der Arbeitgeber von Gesetzes wegen verpflichtet sei, die Arbeitszeiten der Mitarbeiter zu erfassen. Daher sei ein Initiativrecht des Betriebsrats zur Einführung eines Zeiterfassungssystems ausgeschlossen. 

 

Neuerungen im Nachweisgesetz (NachwG)

Arbeitgeber müssen die wesentlichen Vertragsbedingungen schriftlich niederlegen, die Niederschrift unterzeichnen und dem Mitarbeiter fristgebunden aushändigen. Nun gelten seit dem 01. August 2022 strengere Nachweispflichten. Verstößt der Arbeitgeber hiergegen, führt dies nicht zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages, er begeht allerdings unter Umständen eine Ordnungswidrigkeit, die mit einer Geldbuße bis zu 2.000 EUR geahndet werden kann.

 

Zusätzliche Dokumentationspflichten

Der Arbeitgeber muss nunmehr zusätzlich u.a. folgende Informationen mitteilen:

  • Enddatum von befristeten Arbeitsverhältnissen
  • Dauer einer Probezeit
  • Überstundenzuschlag (Zustandekommen, Höhe)
  • Vereinbarte Ruhepausen, Schichtsysteme und -rhythmus
  • Anspruch auf Fortbildung
  • Abgaben zum Versorgungsträger bei betrieblicher Altersvorsorge
  • Information zur Kündigung und Kündigungsschutzklage
  • Hinweis auf anwendbare Tarifverträge

Verkürzte Informationsfristen

Für ab dem 01. August 2022 beginnende Arbeitsverhältnisse (ABV) muss der Arbeitgeber die Niederschrift zu den jeweiligen Angaben dem Mitarbeiterfrüher früher aushändigen. Dies betrifft auch Arbeitsverhältnisse, die schon vor dem 01. August 2022 begonnen haben. Allerdings muss der Arbeitgeber in diesem Fall nicht von sich aus tätig werden, sondern nur auf Anforderung des Mitarbeiters.

Lohnfortzahlung bei Betriebsschließung

Unter Umständen können Mitarbeiter aufgrund der Corona-Pandemie keinen Lohn verlangen.

Grundsätzlich trägt der Arbeitgeber das Betriebsrisiko, da er den Betrieb leitet, die betrieblichen Abläufe organisiert und die Verantwortung für den Betrieb trägt. Mithin muss der Arbeitgeber von außen gesetzte, auf den Betrieb sich auswirkende Störungen entgegenwirken und Vorkehrungen treffen.

Ordnet der Arbeitgeber während der Pandemie eine Betriebsschließung an, trägt er als Entscheidungsbefugter also auch das Betriebsrisiko und muss während der Betriebsschließung dem Mitarbeiter weiter Lohn zahlen.

Demgegenüber ist bei staatlich angeordneten Betriebsschließungen zu prüfen, ob der Arbeitgeber oder aber der Mitarbeiter das Betriebsrisiko zu tragen hat. Der Arbeitgeber trägt in einem solchen Fall allein das Betriebsrisiko, wenn er in der Lage ist, durch ein geeignetes Hygienekonzept oder Schutzmaßnahmen die Schließungen abzuwenden. Der Arbeitgeber hat mithin während dieser Zeit weiterhin Lohn an den Mitarbeiter zu zahlen.

Anderes gilt für den Fall, dass unabhängig von den individuellen betrieblichen Bedingungen flächendeckend alle Betriebe (außer die für die Versorgung notwendigen Einrichtungen) zum Schutz der Bevölkerung schließen müssen.

Dass der Mitarbeiter nicht arbeiten kann, ist in dem Fall auf die staatliche Maßnahme zurückzuführen und nicht auf den Betrieb des Arbeitgebers. Dieser muss die Folgen der Betriebsschließung auch nicht durch Urlaub oder Überstundenabbau mildern. Der Arbeitgeber muss an den Mitarbeiter nicht weiter Lohn zahlen.

 

Zutritt bei fehlendem Impfnachweis

Wenn Mitarbeiter einer Einrichtung zur Betreuung von Menschen mit Behinderungen keinen Impf- oder Genesenen-Status nachweisen, darf der Arbeitgeber ihnen das Betreten der Einrichtung und die Tätigkeit untersagen.

Über die Verfassungsmäßigkeit der Einführung einer einrichtungsbezogenen Nachweispflicht zur Covid-19-Immunität hatte das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (Beschluss vom 27. April 2022 – 1 BvR 2649/21). Damit müssen Personen, die in Einrichtungen und Unternehmen im Sinne des § 20 1 Abs. 1 Nr. 1 IfSG wie beispielsweise Krankenhäuser und Arztpraxen arbeiten, einen Nachweis über das Vorliegen eines vollständigen Impfschutzes oder einen Genesenennachweis vorlegen.

Dem Schutz der dort betreuten, besonders schutzbedürftigen Personen ist Vorrang gegenüber den Belangen von Mitarbeitern einzuräumen. Für Mitarbeiter besteht allerdings die Möglichkeit, eine medizinische Kontraindikation zur Corona-Impfung durch ein ärztliches Attest nachzuweisen.

 

Ausschlussfrist bei einer Compliance-Untersuchung

Die zweiwöchige Ausschlussfrist aus § 626 Abs. 2 BGB beginnt erst zu laufen, wenn ein von einer Compliance-Abteilung erstellter Bericht an die kündigungsberechtigten Stellen des Unternehmens weitergeleitet wird.

Es kommt mithin für den Beginn der zweiwöchigen Frist ausschließlich auf die Kenntnis seitens des Kündigungsberechtigten an und nicht auf die Kenntnislage in der Compliance-Abteilung (Team oder Leiter).

Hierbei entscheidet die Compliance-Abteilung, wann die Ermittlungen abgeschlossen sind und sie die Kündigungsberechtigten im Unternehmen informiert. Der Arbeitgeber darf die Compliance-Untersuchungen allerdings nicht beliebig ausdehnen und dadurch den Beginn der Frist hinauszögern.

 

Kündigung eines leistungsunfähigen Mitarbeiters

Arbeitgeber können einem ordentlich unkündbaren Mitarbeiter außerordentlich mit Auslauffrist kündigen, wenn der Mitarbeiter krankheitsbedingt dauerhaft außerstande ist, die arbeitsvertraglich geschuldete Leistung zu erbringen.

Ist eine dauernde Leistungsunfähigkeit nicht medizinisch festgestellt, muss der Arbeitgeber für die Kündigung eine Negativprognose treffen. Diese kann sich wiederum aus einer langanhaltenden Arbeitsunfähigkeit ergeben. Von dieser aber auf eine dauernde Leistungsunfähigkeit zu schließen, ist in der Regel erst möglich, wenn der Mitarbeiter ca. 18 Monate ununterbrochen krank war.

In einem solchen Fall ist dem Arbeitgeber grundsätzlich zuzumuten, eine Kündigungsfrist einzuhalten.

Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann aber einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung darstellen, wenn die ordentliche Kündigung z.B. aufgrund eines besonderen Kündigungsschutzes ausgeschlossen ist. Dann muss der Arbeitgeber allerdings zugunsten des Mitarbeiters zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist halten. Zusätzlich müssen die hohen Voraussetzungen der außerordentlichen Kündigung i.S.d § 626 Abs.1 BGB vorliegen.

+++

Sprechen Sie uns an!

Tel: +49 511-30756-0
Oder schreiben Sie uns:

    * Pflichtfeld

    Ich erkläre mich mit der Übertragung meiner Daten über ein gesichertes Formular einverstanden.*