HP Compact  |  im Oktober 2016  |
Antonia Herfurth, Rechtsreferendarin London / München |

Das Transatlantische Freihandelsabkommen, TTIP, ist ein sich in Verhandlung befindendes Freihandels- und Investitionsschutzabkommen in Form eines völkerrechtlichen Vertrags. Vertragspartner sind zwei der stärksten Wirtschaftsmächte der Welt – die EU und die USA. Ziel des Abkommens ist der Abbau tarifärer und nichttarifärer Handelshemmnisse. Dadurch soll das Wirtschaftswachstum angeregt, die Zusammenarbeit zwischen den Vertragsparteien gestärkt und die internationalen Normen und Standards angehoben werden. Wäre TTIP erfolgreich, würde es die weltgrößte Freihandelszone bilden und könnte den Handel auf der ganzen Welt vereinfachen.

 

Der geplante Inhalt

Sowohl Deutschland als auch die EU sind bereits Vertragspartner zahlreicher wirtschaftsfördernder Völkerrechtsverträge. Nennenswert ist insbesondere das 164 Staaten starke Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, GATT. Aber auch das geplante Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen, TiSA, verfolgt das Ziel, zwischen den 23 Vertragspartnern Dienstleistungen zu liberalisieren und stärkerem Wettbewerb auszusetzen. Das europäisch-kanadische Wirtschafts- und Handelsabkommen, CETA, stellt ebenso wie TTIP ein Freihandelsabkommen dar. Im Gegensatz zu TTIP wurde CETA bereits am 30.10.2016 unterzeichnet. Es muss jedoch noch ratifiziert werden.

TTIP strebt die Erleichterung des Marktzugangs innerhalb des Freihandelsraums an. Dazu soll das Abkommen Handelshemmnisse abbauen. Obwohl tarifäre Hemmnisse wie Zölle und Mengenbeschränkungen bestehen, überqueren Waren, Dienstleistungen und Kapital den Atlantik bereits ohne große Hürden, so dass es bei TTIP maßgeblich um den Abbau nichttarifärer Hemmnisse geht. Es wird eine regulatorische Zusammenarbeit und globale Regelentwicklung angestrebt. So zielen die Vertragsparteien beispielweise die den Atlantik übergreifende Vergabe öffentlicher Aufträge an, ebenso wie die Deregulierung des Finanzsektors. Auch eine Anpassung von Standards im Bereich Industrie, Gesundheit, Lebensmittel und Umwelt soll erreicht werden. Dies prägt sich unter anderem in der Vermeidung doppelter Zulassungsverfahren aus. Als Investitionsschutzabkommen sichern die Vertragsstaaten von TTIP Investoren völkerrechtlichen Schutz in denjenigen Vertragsstaaten zu, in denen diese eine Investition getätigt haben. Aus Investitionsschutz können Investitionsschutzstreitigkeiten erwachsen. Die EU-Kommission und mehrere EU-Mitgliedstaaten haben sich für die Errichtung eines eigenen Streitbeilegungsorgans eingesetzt. Die genaue Ausgestaltung befindet sich noch im Prozess.

 

TTIP in der Diskussion

TTIP ist stark umstritten. Es wird diskutiert, wie positiv die wirtschaftlichen Effekte von TTIP tatsächlich ausfallen – nicht nur bezogen auf die Vertragsstaaten, sondern auch auf den Weltmarkt. Es wird debattiert, ob das Abkommen tatsächlich eine vorteilhafte Entwicklung für Arbeitnehmer und Verbraucher darstellt oder lediglich Großkonzerne motiviert durch Kapitalinteressen davon profitieren. Dabei stehen sich zwei Lager gegenüber – als Befürworter des Abkommens die EU-Kommission und die Regierungen der Vertragsstaaten und als Gegner Teile der Wirtschaft, Politik und Wissenschaft sowie der Bevölkerung.

Im Folgenden zu den größten Diskussionspunkten:

 

Intransparenz des Verhandlungsprozesses

Es wird die Intransparenz des Verhandlungsprozesses kritisiert. Bis heute sind die konkret ausgehandelten Vertragsbedingungen geheim. Die Frustration darüber führte im Mai 2016 dazu, dass interne Positionspapiere geleakt und damit einzelne Textpassagen publik gemacht wurden.

 

Wirtschaftswachstum

Die Befürworter des Abkommens heben die Belebung des Wirtschaftswachstums in den Vertragsstaaten hervor. Sie führen an, dass mit TTIP eine Wirtschaftsmacht entsteht, die einen Gegenpol zum immer mächtiger werdenden Asien, insbesondere China, bilden wird. Für die EU-Wirtschaft bestünde mit dem Abkommen ein Potenzial von rund 199 Milliarden Euro, für die US-Wirtschaft von rund 95 Milliarden Euro. Mit dem Freihandelsabkommen sei eine kontinuierliche Steigerung des Bruttoinlandsprodukts um 0,5 Prozent möglich. Dagegen wird argumentiert, dass TTIP zwar zu einem Wirtschaftswachstum zwischen den USA und den Unionsmitgliedstaaten führen wird, dies allerdings sowohl zu Lasten der Handelspartner außerhalb des Freihandelsabkommens als auch zu Lasten des innerunionalen Handels. Zudem gingen die von den Befürwortern angeführten Werte nur vom Idealfall aus. Das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts werde nur sehr gering ausfallen. Geht man von einer, laut Kritikern, realistischen Wirtschaftsdynamik aus, könne mit 0,06 Prozent gerechnet werden und das erst ab 2029.

 

Das „Buy-American“-Gesetz

Der wirtschaftliche Erfolg von TTIP hängt vom effektiven Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse ab. Gerade dieser wird jedoch noch vom Festhalten der USA am „Buy-American“-Gesetz behindert. Das Gesetz aus dem Jahr 1933 verpflichtet öffentliche Auftraggeber, vorzugsweise in den USA hergestellte Produkte zu kaufen. Sobald die nichttarifären Handelshemmnisse allerdings beseitigt sind, bestehen durch den erleichterten Marktzugang eine größere Produktauswahl, geringere Preise und eine leichtere Kooperation zwischen Unternehmen in der EU und den USA.

Arbeitnehmer

Die Befürworter des Abkommens betonen eine Senkung der Arbeitslosigkeit. TTIP könne in Europa bis zu 400.000 neue Arbeitsplätze schaffen, davon 100.000 in Deutschland. Dem wird entgegnet, dass die Zunahme des transatlantischen Handels vielmehr zu einem Verlust von Arbeitsplätzen in Europa und einer tendenziell sinkenden Lohnquote führen werde. Zudem befürchten Gegner eine Aufweichung der Arbeitnehmerrechte.

 

Politische Unabhängigkeit von Russland

Als wichtigen politischen Aspekt betonen die Befürworter eine Unabhängigkeit von Russland. Durch TTIP könnte die EU günstiger Energie aus den USA importieren und wäre damit unabhängiger von Russland, was insbesondere während der Ukraine-Krise ein stark diskutiertes Thema war. Darüber hinaus sehen vor allem die USA in dem Zusammenschluss eine stärkere Verhandlungsmacht gegenüber Russland.

 

Gesetzliche Standards

TTIP soll nichttarifäre Handelshemmnisse reduzieren. Unterschiedliche gesetzliche Standards können als solche eingestuft werden. Als Folge müssen diese angepasst werden. Solch eine Harmonisierung kann aber im Bereich Sicherheit, Gesundheit, Soziales, Datenschutz und kulturelle Vielfalt zu einer Schwächung der Unionsstandards führen. Zudem besteht die Gefahr, dass die Standards sich an den Interessen der Konzerne und Finanzinvestoren orientieren, nicht an denen der Verbraucher. Es wird befürchtet, dass der niedrigste als gemeinsamer Standard gewählt wird. Dem entgegnen die Europäische Kommission und der Bundesverband der Deutschen Industrie jedoch, dass hohe europäische Standards angestrebt werden.

Als Beispiel, das insbesondere Verbraucher beschäftigt, können die Lebensmittelgesetze und Gesundheitsstandards angeführt werden. Während in der EU gentechnisch veränderte Lebensmittel besonders gekennzeichnet werden müssen und weitgehend verboten sind, ist der Einsatz Grüner Gentechnik in den USA geläufig und unterliegt keiner Kennzeichnungspflicht. Der von den Verbrauchern befürchteten Absenkung der Lebensmittel- und Gesundheitsstandards kann aber entgegengehalten werden, dass TTIP lediglich zu einer Ausdehnung des Produktangebots führen wird, die jeweils geltenden Kennzeichnungspflichten und Standards dadurch aber nicht ausgehebelt werden. Dem Verbraucher bleibt es selbst überlassen, ob er die amerikanischen oder europäischen Produkte bevorzugt.

Zum Verlust geltender Standards, der wohlgemerkt sowohl in den USA als auch in der EU befürchtet wird, betonen die Befürworter des Abkommens stets, dass hohe Standards zu niemandes Lasten aufgeweicht werden sollen. Die Idee sei vielmehr, die jeweiligen Standards gegenseitig anzuerkennen, wenn sie ein gleichhohes Schutzniveau garantieren. Dies erleichtere den transatlantischen Warenhandel und ließe zeit- und kostenraubende Bürokratie entfallen, wie das doppelte Zulassungsverfahren. Obgleich sich hinter den jeweiligen Standards unterschiedliche Wertvorstellungen verbergen, haben die USA und die EU bezüglich vieler Themen ähnliche Vorstellungen, sie verfolgen lediglich unterschiedliche Ansätze. Im Übrigen sei auch keine Absenkung von Standards durch die Union zu befürchten, da solch eine Handlung nicht vom EU-Verhandlungsmandat gedeckt sei.

 

TTIP als Investitionsschutzabkommen

TTIP stellt nicht nur ein Freihandels-, sondern ebenso ein Investitionsschutzabkommen dar. Dies führt zum nächsten Diskussionspunkt, den unter dem Schirm von TTIP geführten Investitionsschiedsverfahren.

Die Vertragsstaaten sehen die Einrichtung von Investitionsschiedsgerichten vor. Diese entscheiden anstelle von nationalen Gerichte als internationale, nicht-staatliche Spruchkörper und ermöglichen eine schnelle Streitlösung.

Kritiker wenden ein, dass die Errichtung von Investitionsschiedsgerichten weder notwendig sei, noch seien Rechtsgrundlagen dafür gegeben. Außerdem werde die Rechtsetzungsbefugnis der Mitgliedstaaten und der Union zu stark eingeschränkt. Auch das vorgesehene Verfahren zur Ernennung der Richter genüge nicht den internationalen Anforderungen an ein unabhängiges Gericht. Zudem bestünden mangels höherer Instanzen kaum Möglichkeiten zur Überprüfung gerichtlicher Entscheidungen. Im Grundsatz, aber auch angesichts der Höhe zu erwartender Schadensersatzforderungen von Investoren, sehen Kritiker eine Gefahr für bzw. einen Angriff auf die Souveränität der Einzelstaaten, die Prinzipien der Demokratie und die Rechtsstaatlichkeit.

Dagegen wenden die Befürworter ein, dass viele Ängste haltlos seien. Die Rechtssetzungsbefugnis werde nicht eingeschränkt, da sich etwa 90% der Investitionsschutzklagen gegen Verwaltungsentscheidungen wenden und nicht gegen legislative Akte. Bestehende nationale oder Unionsgesetze könnten auch nicht vor einem Schiedsgericht angegriffen werden, solange sie nicht diskriminierend angewendet werden. Zudem berührten die Schiedsverfahren auch nicht, wie befürchtet, die Souveränität der Staaten, denn in einem Zeitraum von zehn Jahren fielen die Entscheidungen häufiger zugunsten der beklagten Staaten aus, Investoren gewannen 31% der Fälle, die beklagten Staaten hingegen 43%. Aufgrund der herrschenden Ablehnung der Schiedsgerichte überlegen die Verhandlungspartner seit September 2016, ein moderneres Streitbeilegungsverfahren einzuführen. Geplant ist die Einrichtung eines öffentlich-legitimierten, transparenten Investitionsgerichtshofes und eines institutionalisierten internationalen Streitbeilegungsgremiums. Auf diese Weise würden die Richter nicht mehr von den Parteien des Rechtsstreits ausgewählt, sondern von den Vertragsstaaten ernannt werden, und es würde eine zweite Instanz als Berufungsinstanz zur Überprüfung der Entscheidungen bestehen.

 

Ausblick

Die Verhandlungen um TTIP gestalten sich schwierig. Die Vertragsstaaten beharren auf manchen Positionen so sehr, dass es diesbezüglich bisher zu keiner Einigung kam und sich die Verhandlungspartner sogar „Geiselnahme-Strategien“ vorwerfen. Allerdings war auch CETA umstritten. Obgleich Belgien sich dem Abschluss des Vertrags zunächst in den Weg stellte, konnte es sich im Oktober 2016 einigen und hat den Vertrag unterzeichnet, sodass sich CETA nun erfolgreich durchsetzen wird.

Neben den Hürden im Rahmen der Vertragsverhandlungen verändert sich auch die Stimmung in der Bevölkerung. Umfragen ergaben, dass in 2014 noch mehr als 50 Prozent der Bevölkerung in den USA TTIP befürworteten, in 2016 aber nur noch 15 Prozent. In Deutschland sind die Zahlen ähnlich. 2014 sprachen sich 55 Prozent der Befragten für das Abkommen aus, 2016 nur noch 17 Prozent. Aus den Zahlen darf jedoch nicht geschlossen werden, dass nahezu 80 Prozent der Deutschen gegen das Abkommen sind, vielmehr sind viele unsicher. Dabei muss man wissen, dass die größte öffentliche Debatte in Deutschland stattfindet, die größte Ablehnung jedoch in Österreich und Griechenland herrscht.

Die weitere Entwicklung bleibt abzuwarten, nicht zuletzt, weil am 8. November in den USA die Präsidentschaftswahl stattfindet. Während Hilary Clinton sich skeptisch zum Thema Freihandel äußert, aber Verhandlungswille zeigt, zeigt Donald Trump deutlich, dass er kein Sympathisant vom Freihandel und der Globalisierung ist und die Vertragsverhandlungen in seiner Amtszeit bestenfalls vorerst ruhen lassen will.

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