Hannover, 03.02.2021 | Im Dezember hatten wir Sie über die aktuelle Entwicklung in der EU-Politik zur Digitalisierung informiert. Heute erhalten Sie nun unser Compact zum Digital Markets Act.

Der Digital Markets Act der EU

Rechtsanwalt Ulrich Herfurth, Hannover

Die Verordnung der Europäischen Union über digitale Märkte (Digital Markets Act) führt Regeln für Plattformen ein, die als „Gatekeeper“ im digitalen Sektor fungieren.[1] Dabei handelt es sich um solche Plattformen, die aufgrund ihrer Größe und Reichweite einen erheblichen Einfluss auf den europäischen Binnenmarkt haben. Diese Marktmacht äußert sich mitunter darin, dass entsprechende Plattformen die „Spielregeln“ für ihre Nutzer einseitig festlegen können. Man denke dabei an Google, Facebook, YouTube und Amazon. Erfasst werden sollen aber auch solche Plattformen, bei denen eine Gatekeeper-Funktion erst in der Zukunft zu befürchten steht. Solche Plattformen sind häufig eine zentrale Schnittstelle für die Kommunikation zwischen Unternehmen und ihren Kunden.

Der Digital Markets Act zielt darauf ab, Gatekeeper daran zu hindern, Unternehmen und Verbrauchern unfaire Bedingungen aufzuerlegen und die Offenheit und Transparenz wichtiger digitaler Dienste zu gewährleisten. Beispiele für diese unfairen Bedingungen sind das Verbot für Unternehmen, auf ihre eigenen Daten zuzugreifen, oder Situationen, in denen Nutzer an einen bestimmten Dienst gebunden sind und nur begrenzte Möglichkeiten haben, zu alternativen Diensten zu wechseln („Lock-in-Effekt“).

 

Anwendbarkeit

Der Digital Markets Act wird nur auf große Unternehmen anwendbar sein. Im nun verabschiedeten Verordnungsentwurf sind objektiven Kriterien festgesetzt, nach denen „Gatekeeper“ identifiziert werden. Sie müssen mindestens einen so genannten „Kernplattformdienst“ (wie Suchmaschinen, soziale Netzwerkdienste, bestimmte Messaging-Dienste, Betriebssysteme und Online-Vermittlungsdienste) kontrollieren und über einen dauerhaften, großen Nutzerstamm in mehreren Ländern der EU verfügen. Der Digital Markets Act ist somit als Reaktion auf die ausufernde Marktmacht der Internet Giganten zu sehen.

Im Einzelnen gibt es drei wesentliche kumulative Kriterien, die ein Unternehmen in den Anwendungsbereich des Digital Markets Act bringen:

  1. Eine Größe, die sich auf den Binnenmarkt auswirkt: Dies wird vermutet, wenn das Unternehmen in den letzten drei Geschäftsjahren einen Jahresumsatz im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) von mindestens 6,5 Mrd. € erzielt hat oder wenn seine durchschnittliche Marktkapitalisierung oder der entsprechende Marktwert im letzten Geschäftsjahr mindestens 65 Mrd. € betragen hat und es einen zentralen Plattformdienst in mindestens drei Mitgliedsstaaten anbietet;[2]
  1. Die Kontrolle eines wichtigen Gateways für gewerbliche Nutzer in Richtung Endverbraucher: Dies wird vermutet, wenn das Unternehmen einen zentralen Plattformdienst mit mehr als 45 Millionen monatlich aktiven Endnutzern mit Sitz oder Standort in der EU und mehr als 10 000 jährlich aktiven gewerblichen Nutzern mit Sitz in der EU im letzten Geschäftsjahr betreibt;
  1. Eine (voraussichtlich) gefestigte und dauerhafte Position: Dies wird vermutet, wenn das Unternehmen die beiden anderen Kriterien in jedem der letzten drei Geschäftsjahre erfüllt hat.

Wenn alle diese quantitativen Schwellenwerte erfüllt sind, wird davon ausgegangen, dass das betreffende Unternehmen ein Gatekeeper ist, es sei denn, das Unternehmen kann das Gegenteil beweisen. Ein Unternehmen kann aber auch von der Kommission als Gatekeeper identifiziert werden, wenn es (noch) nicht alle Voraussetzungen erfüllt. Hierzu sollen Marktuntersuchungen durch die Kommission stattfinden.

 

Rechtsfolgen für Plattformen 

Gatekeeper müssen sich in Zukunft so verhalten, dass ein offenes und faires Online-Umfeld für Unternehmen und Verbraucher gewährleistet wird. Dazu müssen sie bestimmte, im Gesetzesentwurf festgelegte Verpflichtungen einhalten, d.h. proaktiv bestimmte Verhaltensweisen umsetzen und unfaire Verhaltensweisen unterlassen.

Wenn ein Unternehmen noch keine gefestigte und dauerhafte Marktstellung innehat, es aber absehbar ist, dass dies in naher Zukunft der Fall sein wird, muss es schon einen verhältnismäßigen Teil der Pflichten aus dem Digital Markets Act erfüllen. Dadurch soll sichergestellt werden, dass der betreffende Gatekeeper nicht mit unlauteren Mitteln eine gefestigte und dauerhafte Marktposition in seinem Tätigkeitsfeld erreicht.

 

Pflichten und Verbote der Gatekeeper 

Der Digital Markets Act legt eine Reihe von Verpflichtungen fest, die Gatekeeper in ihrem täglichen Betrieb umsetzen müssen, um faire und offene digitale Märkte zu gewährleisten. Diese Liste soll beständig weiterentwickelt und fortgeschrieben werden.

Einige Beispiele für die Pflichten sind:

  • Gatekeeper müssen den auf ihrer Plattform werbenden Unternehmen Zugang zu den Leistungsmessungswerkzeugen des Gatekeepers und zu den Informationen gewähren, die erforderlich sind, damit Advertiser und Publisher eine eigene, unabhängige Überprüfung ihrer beim Gatekeeper gehosteten Werbung vornehmen können;
  • Gatekeeper müssen ihren geschäftlichen Nutzern erlauben, ihre Angebote zu bewerben und Verträge mit ihren Kunden außerhalb der Plattform des Gatekeepers abzuschließen;
  • Gatekeeper müssen ihren geschäftlichen Nutzern Zugang zu den Daten gewähren, die durch ihre Aktivitäten auf der Gatekeeper-Plattform entstehen.

Einige Beispiele für Verbote sind:

  • Gatekeeper dürfen Nutzer nicht mehr daran hindern, vorinstallierte Software oder Apps zu deinstallieren;
  • Gatekeeper dürfen die von ihren geschäftlichen Nutzern erhaltenen Daten nicht verwenden, um mit diesen geschäftlichen Nutzern zu konkurrieren;
  • Gatekeeper dürfen ihre Nutzer nicht daran hindern, auf Dienste zuzugreifen, die sie möglicherweise außerhalb der Gatekeeper-Plattform erworben haben.

 

Umsetzung durch die Kommission 

Sobald der Digital Markets Act in Kraft tritt, wird die Kommission prüfen, ob Unternehmen, die im Bereich der Kernplattform-Dienste tätig sind, als Gatekeeper im Sinne der Verordnung zu qualifizieren sind:

  1. Die Unternehmen werden selbst überprüfen müssen, ob sie die quantitativen Schwellenwerte erfüllen, die in der Verordnung zur Identifizierung von Gatekeepern vorgesehen sind. Sie werden dann der Kommission Informationen darüber zur Verfügung stellen müssen.
  2. Die Kommission wird dann die Unternehmen, die die Schwellenwerte der Verordnung erfüllen, auf der Grundlage der von den Unternehmen bereitgestellten Informationen (vorbehaltlich einer möglichen substantiierten Widerlegung) und/oder nach einer Marktuntersuchung als Gatekeeper benennen.
  1. Innerhalb von sechs Monaten, nachdem ein Unternehmen als Gatekeeper identifiziert wurde, muss es die in der Verordnung aufgeführten Pflichten und Verbote einhalten. Für diejenigen Gatekeeper, die noch keine gefestigte und dauerhafte Position innehaben, bei denen dies aber in naher Zukunft zu erwarten ist, gelten nur die Verpflichtungen, die notwendig und angemessen sind, um sicherzustellen, dass das Unternehmen nicht mit unlauteren Mitteln eine solche gefestigte und dauerhafte Position in seinem Betrieb erreicht.

 

Rechtsfolgen bei Verstoß 

Um die Wirksamkeit der neuen Regeln zu gewährleisten, ist die Möglichkeit von Sanktionen bei Nichteinhaltung der Verbote und Pflichten vorgesehen.

Hält sich ein Gatekeeper nicht an die Regeln, kann die Kommission Geldbußen von bis zu 10 % des gesamten weltweiten Jahresumsatzes des Unternehmens und Zwangsgelder von bis zu 5 % des gesamten weltweiten Jahresumsatzes des Unternehmens verhängen. Strafzahlungen in Milliardenhöhe sind demnach theoretisch möglich.

Im Falle systematischer Verstöße kann die Kommission zusätzliche Maßnahmen verhängen. Wenn dies erforderlich ist, um die Einhaltung der Vorschriften zu erreichen, und wenn keine alternativen, ebenso wirksamen Maßnahmen zur Verfügung stehen, können diese auch strukturelle Abhilfemaßnahmen umfassen, wie z. B. die Verpflichtung eines Gatekeepers, ein Unternehmen oder Teile davon zu verkaufen (Zerschlagung).

 

Marktuntersuchungen 

Um sicherzustellen, dass die neuen Gatekeeper-Regeln mit dem schnellen Tempo der digitalen Märkte Schritt halten, wird die Kommission die Befugnis haben, Marktuntersuchungen durchzuführen. Der Zweck von Marktuntersuchungen ist dreifach:

  • Identifizierung von Gatekeepern, die nicht von den im Gesetz über digitale Märkte vorgesehenen quantitativen Schwellenwerten erfasst werden, oder die diese Schwellenwerte zwar erfüllen, aber einen begründeten Antrag gestellt haben, der die auf diesen Schwellenwerten basierende Vermutung widerlegt;
  • Feststellung, ob weitere Dienstleistungen innerhalb des digitalen Sektors in die Liste der Kernplattformdienstleistungen aufgenommen werden sollten, die in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen, oder ob neue Praktiken auftreten, die die gleichen nachteiligen Auswirkungen haben könnten wie die bereits erfassten;
  • Entwicklung zusätzlicher Abhilfemaßnahmen für den Fall, dass ein Gatekeeper systematisch gegen die Regeln des Gesetzes über digitale Märkte verstoßen hat.

 

Durchsetzung des Digital Markets Act 

In Anbetracht des grenzüberschreitenden Charakters von Gatekeepern und der Komplementarität der Verordnung über digitale Märkte mit der Verordnung über digitale Dienste und anderen Binnenmarktvorschriften und insbesondere dem Wettbewerbsrecht wird die Durchsetzung des Instruments in den Händen der Kommission bleiben. Die Mitgliedstaaten können die Kommission jederzeit auffordern, eine Marktuntersuchung zum Zweck der Benennung eines neuen Gatekeepers einzuleiten.

 

Schadensersatz

Der Digital Markets Act ist eine Verordnung, die genaue Verpflichtungen und Verbote für die vom Geltungsbereich betroffenen Gatekeeper enthält. Sobald die Verordnung verabschiedet wird, ist sie in jedem Mitgliedsstaat der EU direkt anwendbar. Dies erleichtert Schadensersatzklagen derjenigen, die durch das Verhalten von nicht konformen Gatekeepern geschädigt wurden.

 

Verhältnis zum Wettbewerbsrecht 

Die Verordnung über digitale Märkte ergänzt die Durchsetzung des Wettbewerbsrechts auf EU- und nationaler Ebene. Die neuen Regeln lassen die Durchsetzung der EU-Wettbewerbsregeln (Artikel 101 und 102 AEUV) und der nationalen Wettbewerbsregeln in Bezug auf einseitiges Verhalten unberührt. Mit der Verordnung über digitale Märkte will die Kommission schneller und einfacher gegen wettbewerbswidriges Handeln vorgehen können.  Durch die ständige Weiterentwicklung der Pflichten und Verbote soll ein flexibles Unterbinden neuer Praktiken möglich sein. Das bestehende Wettbewerbsrecht ist für die schnelle Onlinewelt nicht immer hinreichend geeignet.

 

[1] Der Beitrag beruht auf einer Veröffentlichung der EU-Kommission.

[2] Update vom Oktober 2022: Die Werte wurden auf 7,5 Mrd. € und 75 Mrd. € angehoben.

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