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Hannover, 10.01.2020 | Die Medienlandschaft wird bereits seit einiger Zeit nicht mehr nur durch Zeitungen, Radio und Fernsehen geprägt, sondern ergänzend durch Online-Nachrichtenportale, Videoplattformen und Soziale Medien. Im Gegensatz zum klassischen Rundfunk sind diese aber kaum rundfunkrechtlich reguliert, und damit tragen die bestehenden gesetzlichen Regelungen dem digitalen Wandel nicht mehr Rechnung.

Der neue Medienstaatsvertrag

Antonia Herfurth, Rechtsanwältin, München / Hannover

Um die Medienlandschaft aber vielfältig und qualitativ hochwertig zu halten, verlangt die novellierte Audiovisuelle-Mediendienste-Richtlinie der EU die Umsetzung in den Mitgliedstaaten bis zum 19. September 2020. Da Kultur und Medien in Deutschland Ländersache sind, haben die Bundesländer nun den Rechtsrahmen angepasst und am 05. Dezember 2019 den aktuellen Entwurf für einen neuen Medienstaatsvertrags (MStV) beschlossen. Der Medienstaatsvertrag wird den bisherigen Rundfunkstaatsvertrag (RStV) ersetzen. Damit soll künftig die gesetzliche Bewertung von Rundfunk und Onlinemedien aneinander angeglichen werden, sodass auch Onlinemedien in die gesetzliche Pflicht genommen werden können.

 

Das Problem der Medienkonvergenz

Der Rundfunkstaatsvertrag besteht seit 1991 als Vertrag zwischen allen 16 Bundesländern und regelt das Rundfunkrecht bundesweit einheitlich, zum Internet auch bestimmte Pflichttangaben im Impressum von Websites. Ursprünglich enthielt er lediglich grundlegende Regeln für das duale Rundfunksystem, also ein System bestehend aus öffentlich-rechtlichen und privaten Rundfunk- und Fernsehsendern. Zwar wurde der Rundfunkstaatsvertrag an die fortschreitende Verbreitung des Internets und der darin angebotenen Informations-, Kommunikations- und Unterhaltungsangebote angepasst, doch stoßen die Rundfunk- und Medienregulierung durch die vielfältigen Angebote im Internet an ihre Grenzen.

Die einzelnen Medienarten nähern sich immer mehr an, werden dabei aber bislang weiterhin unterschiedlich behandelt. Private Fernsehsender klagen beispielsweise über hohe Zulassungsauflagen und strenge Vorschriften bei den Werbezeiten, während die Internetkonkurrenz kaum Regeln unterläge und Schleichwerbung betreiben könne, ohne dass Rundfunkregulierer viele Handlungsmöglichkeiten hätten.

 

Etablierung des Medienstaatsvertrags

Da es sich bei dem neuen Medienstaatsvertrag um eine Regulierung öffentlicher Kommunikationsräume handelt, wurde er unter Beteiligung der Öffentlichkeit entwickelt. Unter anderem Rundfunkveranstalter, Kabelnetzbetreiber, Pressehäuser und Bürger haben die im Internet veröffentlichten Vertragsentwürfe rege kommentiert.

Der Medienstaatsvertrag gilt für die Veranstaltung, das Angebot, die Verbreitung und die Zugänglichmachung von Rundfunk und Telemedien in Deutschland. Im Wesentlichen geht es bei der Neuerung um die Anpassung an die Digitalisierung, die Einführung von Transparenzpflichten, den Schutz der Nutzer und die Wahrung der Meinungs- und Angebotsvielfalt.

 

Erweiterter Anwendungsbereich

Gegenüber dem Rundfunkstaatsvertrag ist der Anwendungsbereich des Medienstaatsvertrags ausgedehnt. Nun stehen auch Internetmedien unter der Aufsicht der Behörden.

Zum einen werden die Begriffe „Rundfunk“ und „Telemedien“ nun technologieneutral verstanden. Rundfunk muss nicht mehr mittels elektromagnetischer Schwingungen übertragen werden, sondern kann ebenso per Telekommunikation übertragen werden. Das bedeutet, dass fortan beispielsweise YouTube-Kanäle mit festen Uploadplänen (damit die Zuschauer das Erscheinen neuer Inhalte einplanen können) denselben Regulierungen unterliegen wie der klassische Rundfunk.

Zum anderen nimmt der Medienstaatsvertrag neue Adressaten in seinen Anwendungsbereich auf: Medienintermediäre, Medienplattformen, Benutzeroberflächen, Video-Sharing-Dienste sowie sog. neue Medienanbieter.

Der Begriff „Medienintermediär“ ist eine Neuschöpfung des Medienstaatsvertrags. Ein Medienintermediär ist jedes Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen. Kurz gesagt: Internetplattformen, die Medieninhalte Dritter bereitstellen. Das sind beispielsweise Suchmaschinen, Soziale Netzwerke oder Sprachassistenten, zum Beispiel Google und Facebook.

Eine „Medienplattform“ ist jeder Dienst, der Rundfunk, rundfunkähnliche Telemedien und Telemedien im Sinne des Medienstaatsvertrags zu einem vom Anbieter bestimmten Gesamtangebot zusammenfasst. Der Unterschied zum Medienintermediär ist, dass die Plattform die Inhalte zu einem neuen Angebot kombiniert, um dafür eine Vergütung zu verlangen oder darüber Werbung zu vermarkten, zum Beispiel Magenta TV und Netflix.

Eine „Benutzeroberfläche“ ist eine Übersicht über Angebote von einer oder mehreren Medienplattformen, die eine unmittelbare Ansteuerung dieser Angebote ermöglicht,  zum Beispiel Benutzeroberflächen von Smart-TV-Geräten.

Als Video-Sharing-Dienst kann YouTube angeführt werden und sog. „neue Medienanbieter“ sind beispielsweise Influencer und YouTuber.

 

Veränderung der Lizenzpflicht für Rundfunk

Die Zulassungsverfahren für den Rundfunkbetrieb sind bislang vor allem auf Medienhäuser zugeschnitten. Durch die digitalen Möglichkeiten kann heute aber theoretisch jedermann Rundfunk aussenden.

Indem der Medienstaatsvertrag nun bestimmt, dass auch Onlinedienste Rundfunk sein können, benötigen künftig alle Rundfunkanbieter eine Sendelizenz, unabhängig von der Übertragungsart.

Es wäre aber nicht verhältnismäßig, von kleinen Hobbykanälen aus dem persönlichen oder familiären Bereich eine bis zu 10.000 EUR teure Zulassung zu verlangen. Daher haben die Bundesländer eine Bagatellgrenze eingeführt: trägt ein Programm nur unwesentlich zur Meinungsbildung bei oder erreicht es über einen Zeitraum von sechs Monaten im Durchschnitt weniger als 20.000 gleichzeitige Nutzer, bedarf es keiner Zulassung.

 

Sicherung der Angebots- und Meinungsvielfalt

Der Medienstaatsvertrag trägt der Tatsache Rechnung, dass die öffentliche Meinung heutzutage in erheblichem Maße durch Onlineangebote gebildet wird. Die großen Plattformen Google, Facebook, YouTube und andere dominieren den Wettbewerb. Sie nehmen auf die angezeigten Beiträge Einfluss, indem sie Nutzern personalisierte Inhalte anzeigen, basierend auf deren individueller Suchhistorie, Konsumverhalten und Einkommen. Künftig soll sichergestellt werden, dass bestimmte Inhalteanbieter nicht länger bewusst schlecht platziert werden.

Zu diesem Zweck schreibt der Medienstaatsvertrag vor, dass für den Meinungsbildungsprozess wichtige Angebote im Internet leicht auffindbar sein müssen, sprich Medienintermediäre den Meinungsbildungsprozess nicht willkürlich beeinflussen dürfen. Hierzu normiert der Medienstaatsvertrag ein Diskriminierungsverbot. Diese Transparenzpflicht verpflichtet Anbieter jederzeit Auskunft über die Selektion, Präsentation, den Zugang und den Verbleib der Inhalte geben zu können.

Der Medienstaatsvertrag zielt auf die großen sozialen Netzwerke wie Facebook, YouTube, Twitter, Instagram und Suchmaschinen wie Google, denn er erfasst nur Medienintermediäre, die innerhalb Deutschlands im Durchschnitt der vergangenen sechs Monate über eine Million Nutzer monatlich erreichen. Solche Zahlen erreichen nur wenige Inhalteanbieter.

Auch Medienplattformen und Benutzeroberflächen unterliegen künftig dem Diskriminierungsverbot und der Transparenzpflicht. Zusätzlich wird sichergestellt, dass Angebote des öffentlichen Rundfunks, die größten privaten Programme und sog. Qualitätsprogramme, die von den Landesmedienanstalten als solche ausgewiesen werden, leicht auffindbar sind. Denn Beobachtungen haben gezeigt, dass Inhaber von Smart-TVs oder Netflix-Abos vorzugsweise diese nutzen und insbesondere Programme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks kaum wahrnehmen, wenn diese nicht auf den marktdominierenden Plattformen oder Oberflächen vorkommen.

 

Offenlegung von Algorithmen

Ein weiterer Effekt der Transparenzpflicht und des Diskriminierungsverbotes ist die Pflicht zur Offenlegung der von den Medienintermediären verwendeten Algorithmen. Künftig müssen sie ihre Algorithmen in verständlicher Sprache und auf für die Nutzer nachvollziehbare Weise offenlegen und darlegen, warum bestimmte Inhalte auf bestimmte Art platziert wurden.

Das bedeutet beispielsweise, dass Google die Funktionsweise seiner Such-Algorithmen erklären muss und dass Facebook darlegt, warum gewisse Einträge besonders prominent platziert sind. Eine Verpflichtung zur Veröffentlichung von Geschäftsgeheimnisse besteht allerdings nicht.

 

Kennzeichnungspflicht für Social Bots

Ein weiterer Schritt in Richtung Transparenz bei Onlinemedien ist die Einführung einer Kennzeichnungspflicht für Social Bots.

Social Bots sind Programme bzw. Softwareroboter, die in sozialen Netzwerken menschliche Verhaltensmuster simulieren und als „falscher“ Account selbstständig aktiv werden. Social Bots können wie „echte“ Nutzer, sprich natürliche Personen, texten, kommentieren, liken und retweeten. Dabei sollen sie von den echten Nutzern aber nicht als Computerprogramme erkannt werden. Sie beruhen auf Algorithmen. Meist sind Social Bots für einen bestimmten Zweck bestimmt wie PR-Arbeit, Marketing und politische Propaganda.

Aufgrund des neuen Medienstaatsvertrags müssen Social Bots nun als solche gekennzeichnet werden. Ziel ist die bessere Aufklärung der Nutzer, außerdem wird auch hiermit der Meinungsbeeinflussung entgegengetreten.

 

Einführung des Marktortprinzips 

Grundsätzlich gilt der Medienstaatsvertrag wie bisher für Anbieter von Rundfunk und Telemedien, die in Deutschland niedergelassen sind (Herkunftslandprinzip), nun aber auch für Medienintermediäre, Medienplattformen und Benutzeroberflächen, soweit sie zur Nutzung in Deutschland bestimmt sind, unabhängig von der Niederlassung (Marktortprinzip). Das Marktortprinzip kommt bereits EU-weit im neuen Datenschutzrecht mit der Europäischen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) zur Anwendung. Als zur Nutzung in Deutschland bestimmt können Angebote angesehen werden, die sich insbesondere durch die angebotenen Inhalte, die verwendete Sprache oder die Marketingaktivitäten an Nutzer in Deutschland richten.

 

Ausblick

Mit dem Medienstaatsvertrag ist die medienpolitische Neuorientierung noch nicht abgeschlossen, denn Themen wie das Medienkonzentrationsrecht, Künstliche Intelligenz oder die Förderung lokaler Inhalte sind darin nicht behandelt. Dennoch haben die Bundesländer damit einen wichtigen medienpolitischen Meilenstein gesetzt.

Bevor jedoch der Medienstaatsvertrag in Kraft treten kann, muss er von den Landesparlamenten bestätigt werden. Auch die Europäische Kommission überprüft noch die Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht. Daher ist es durchaus möglich, dass der Vertragsentwurfs noch überarbeitet wird. Bis Herbst dieses Jahres sollte jedenfalls eine nationale Rechtsgrundlage geschaffen sein, um die Audiovisuelle-Mediendienste-Richtlinie der EU rechtzeitig umzusetzen.

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