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Hannover, 15.04.2021 | Wer seine Produkte online verkaufen möchte, kommt oft an der Zusammenarbeit mit einer oder mehreren Plattformen nicht vorbei. Das Verhältnis zwischen den Händlern und den Betreibern ist wegen der Marktmacht einiger Plattformen oft problematisch. Neue Entwicklungen in der Gesetzgebung und in der Rechtsprechung bringen Händler in eine bessere Position.

Handelsplattformen und Wettbewerb

Sara Nesler, LL.M. (Torino), Hannover

Im Jahr 2020 wurde in Deutschland ein Gesamtumsatz von 83,3 Milliarden Euro mit dem Verkauf von Waren im Internet erzielt. Das entspricht einem Wachstum von 14,6 % gegenüber dem Vorjahr. Viele Händler sind darauf angewiesen, die Dienste von Plattformen in Anspruch zu nehmen, um potenzielle Kunden zu erreichen. Die eigenen Online-Shops, wenn vorhanden, haben keine gute Sichtbarkeit.

Manche dieser Plattformen verfügen in bestimmten Branchen oder auch marktübergreifend über große Marktanteile. So ist zum Beispiel Zalando Online-Marktführer im Bereich Mode. Laut einer Studie des Handelsverband Deutschland e.V. erreichte Amazon im Jahr 2018 über den Marketplace (25%) und die Direktverkäufe (21%) insgesamt 46% der Marktanteile des deutschen Onlinehandels. Mit einem deutschen Gesamtumsatz von ca. 17 Mrd. € erzielt das Unternehmen mehr als die weiteren neun größten Online-Händler zusammen, darunter Otto und Zalando. Die als Online-Auktionshaus eingestufte Plattform eBay hatte im Vergleich einen weltweiten Umsatz von ca. 10,75 Milliarden.

Die Vorteile für gewerbliche Nutzer

Die Online-Präsenz auf bestimmten Plattformen und der dort erzielte Umsatz sind für viele Händler existenziell. Die Zusammenarbeit bietet nicht nur die Möglichkeit, mit geringen Kosten die Sichtbarkeit der eigenen Produkte zu steigern, sondern auch weitere wichtige Vorteile. So haben Händler bei Programmen wie z.B. Fulfillment by Amazon oder Zalando Fulfillment Solutions die Option, die Warenlogistik auszugliedern. Damit müssen sie sich nicht um die anspruchsvolle Einhaltung der vorgegebenen Versandzeiten kümmern. Mit dem Vendor Central Programm wird ausgewählten Händlern angeboten, größere Warenbestände direkt an Amazon zu verkaufen. Das führt regelmäßig zu einer wesentlichen Steigerung des Umsatzes, weil Kunden ein größeres Vertrauen gegenüber Produkten zeigen, die von Amazon nicht nur verschickt, sondern auch verkauft werden.

Abhängigkeit und Kontrollverlust

Es ist dennoch Vorsicht geboten. Wenn die Präsenz auf einer bestimmten Plattform ein zentraler Punkt des Geschäftsmodells darstellt, ist man an den Betreiber gebunden. Das Maß der Abhängigkeit steigt mit dem Anteil an Verkaufsvolumen, das auf einer Plattform abgewickelt wird.

Je größer die Anzahl der in Anspruch genommenen Leistungen, desto mehr geht die Herrschaft über die eigenen Produkte verloren. Werden z. B. der Versand und die Rückabwicklung der Plattform überlassen, geht die Kontrolle über die Verpackung der eigenen Waren sowie der Kundenkontakt abhanden.

Jeder Schritt, der den eigenen Erfolg an eine bestimmte Plattform stärker bindet, muss gut überlegt werden. Händler, die in Amazon´s Vendor Central oder ein ähnliches Programm eingeladen werden, sollten die Entscheidung einer Zusage nicht leichtfertig treffen. In dem Moment, in dem die Waren an den Plattformbetreiber verkauft werden, hat dieser die Kontrolle über die Preise, unabhängig von den Vorstellungen des Herstellers oder des Händlers. Um in dem Programm zu bleiben, müssen Vorgaben eingehalten werden, die auch nach dem Vertragsschluss durch den starken Vertragspartner gestellt werden. Ein freiwilliger Ausstieg aus dem Programm ist dagegen nicht ohne Weiteres gestattet. Wer Einsicht in die Statistiken der an den Betreiber verkauften Waren erlangen möchte, muss außerdem dafür zahlen. Die im Basis Programm enthaltenen Analysetools sind hier nicht vorgesehen.

Händler als Kunden und Wettbewerber der Plattform

Die Lage der Händler wird dadurch erschwert, dass viele Plattformen, darunter auch Amazon, eBay und Zalando, vertikal integriert sind, indem sie sowohl eigene Waren als auch die von Dritthändlern anbieten. Das bedeutet, dass gewerbliche Nutzer gleichzeitig Kunden und potenzielle Konkurrenten der Plattform sind.

Die Betreiber können anhand der gesammelten Daten genau beobachten, welche Produkte besonders erfolgreich sind. Daraufhin können sie entscheiden, den Händler oder den Hersteller zu einem bestimmten Programm einzuladen und gegebenenfalls Druck auszuüben, damit dieser das Angebot annimmt. Es sind aber auch Fälle bekannt, in denen erfolgreiche Händler durch Preiskampf aus dem Markt gedrängt wurden, indem der Plattformbetreiber die identischen Produkte aus der gleichen Bezugsquelle als eigene Angebote verkaufte.

Die Befürchtung, dass die Algorithmen der Plattform die Produkte von Dritthändlern zugunsten der eigenen benachteiligt, ist daher begründet. Berechtigt ist auch die Angst, aus dem Marktplatz einer Plattform ausgeschlossen zu werden oder dass sein Geschäftskonto ohne triftigen Grund gesperrt wird.

Positive Entwicklungen für Händler

Diese bedenkliche Marktmacht weckte in den letzten Jahren die Aufmerksamkeit des Bundeskartellamtes, das durch seine Intervention unter anderem eine Änderung der AGB von Amazon zugunsten der Händler erreicht hat.

Eine wesentliche Änderung des Wettbewerbsrechts hat die Zehnte GWB-Novelle gebracht (Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen), die am 19. 01. 2021 in Kraft getreten ist. Der neue § 19a GWB führt das Merkmal der überragenden marktübergreifende Bedeutung eines Unternehmens für den Wettbewerb ein. Es erfasst damit Übersprungeffekte von einem Markt in andere Märkte, sowohl horizontal als auch vertikal.

Das Bundeskartellamt kann diesen Sachverhalt formell feststellen und dem Unternehmen unter anderem untersagen,

  • die eigenen Angebote bei der Darstellung zu bevorzugen
  • andere Unternehmen unzureichend über den Umfang, die Qualität oder den Erfolg der erbrachten oder beauftragten Leistung zu informieren oder ihnen in anderer Weise eine Beurteilung des Wertes dieser Leistung zu erschweren
  • für die Behandlung von Angeboten eines anderen Unternehmens Vorteile zu fordern, die in keinem angemessenen Verhältnis zum Grund der Forderung stehen, insbesondere für deren Darstellung die Übertragung von Daten oder Rechten zu fordern, die dafür nicht zwingend erforderlich sind
  • die Qualität der Darstellung dieser Angebote von der Übertragung von Daten oder Rechten abhängig zu machen, die hierzu in keinem angemessenen Verhältnis stehen.
  • 19a GWB räumt die mit der vertikalen Integration von Plattformen verbundenen Problematiken nicht komplett aus. Dafür wäre ein Verbot erforderlich, in einem Markt zugleich als Plattform und als Händler zu agieren. Dennoch setzt es marktmächtigen Unternehmen wichtige Grenzen, die die Ausnutzung der Machtposition erschweren. Das Bundeskartellamt hat zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Feststellung einer überragenden marktübergreifenden Bedeutung bekanntgegeben. Bei einigen Plattformen dürfte das aber nur eine Frage der Zeit sein.

Europäische und internationale Ebene

 Auch auf europäischer Ebene werden wichtige Maßnahmen gegen den Machtmissbrauch von Plattformen eingeführt. Die EU-Kommission führt ein Verfahren gegen Amazon wegen des Verstoßes gegen europäische Kartellvorschriften, insbesondere wegen der missbräuchlichen Nutzung von Daten. Dem Unternehmen drohen Bußgelder in Milliardenhöhe (bis zu 10% des weltweiten Jahresumsatzes, im Jahr 2019 über 230 Mrd. EUR). Im Dezember hat die EU-Kommission ein Gesetzespaket für die Regulierung von digitalen Diensten und digitalen Märkte vorgestellt. Sollte dieses verabschiedet werden, wären Plattformen unter Androhung von schweren Bußgeldern gezwungen, gewerblichen Nutzern ein faireres Geschäftsumfeld zu gewähren.

Positive Signale kommen auch aus den USA: Kartellrechtliche Verfahren wegen des Missbrauchs der Daten von Drittanbietern sind bereits eingeleitet worden, und Die Politik erwägt gesetzliche Maßnahmen gegen den Machtmissbrauch durch Plattformen.

Diese Entwicklungen sind aus Sicht der gewerblichen Nutzer von Plattformen willkommen. Während man auf weitere Schritte der zuständigen Behörden wartet, stellen sich Händlern aber weiterhin existenzielle Fragen, insbesondere wenn sie aus einem Marktsegment herausgedrängt werden oder die Plattform ihren Account sperrt.

 Können Plattformen Produkte von bestimmten Händlern aus dem Marktplatz ausschließen?

Jedem Unternehmen ist es gestattet, seine geschäftliche Tätigkeit so zu gestalten, dass es nach seinem Ermessen wirtschaftlich sinnvoll und richtig ist. Das bedeutet grundsätzlich, dass auch Plattformbetreiber frei entscheiden können, mit welchem Händler sie eine Geschäftsbeziehung eingehen wollen und welche Arten von Waren auf der Plattform angeboten werden können.

Diese Geschäftsfreiheit besteht aber nur innerhalb der wettbewerbsrechtlichen Grenzen. Wenn der Betreiber in dem relevanten Markt eine beherrschende Stellung innehat, kann der Ausschluss von manchen Händlern eine unzulässige Beschränkung des Wettbewerbs darstellt.

Eine unbillige Behinderung von Drittanbietern hat das LG Frankfurt a.M. beispielsweise bejaht, als Amazon Direktverkäufer von Apple Produkten wurde. Als Teil der Vereinbarung, hat Amazon alle Produktanzeigen der Marke, welche nicht von Apple autorisierten Weiterverkäufern stammten, gelöscht. Als Ergebnis blieben auf den Plattformen nur die Eigenangebote von Amazon und die von zwei weiteren autorisierten Händlern. Die Rechtswidrigkeit des Ausschlusses ist unabhängig von der Zulässigkeit der Absprache, die vom Bundeskartellamt untersucht wird.

Liegt eine ähnliche Konstellation vor, kann es sich lohnen, mit einer einstweiligen Verfügung dem Betreiber die Handlung zu untersagen oder ihn zu verpflichten, die gelöschten Produktanzeigen wieder online zu stellen. Ein Ersatz des entgangenen Gewinns kommt auch in Betracht.

Wann kann der Betreiber ein Geschäftskonto sperren oder kündigen?

Wenn ein konkreter Hinweis vorliegt, dass der Händler, durch die Nutzung der Plattform, die Rechte eines Drittens verletzt, hat der Betreiber die Pflicht, weitere Verletzungen zu verhindern. Eine sofortige Sperrung ist auch ohne eine vorherige Anhörung des Nutzers und ohne eine Prüfung der vorgetragenen Rechtsverletzung zulässig. Der Nutzer muss aber über die konkreten Gründe der Sperrung informiert werden.

Eine Sperrung ist auch zulässig, wenn der gewerbliche Nutzer gegen seine Vertragspflichten gegenüber dem Betreiber verstößt.

Der Betreiber hat dem Händler gegenüber eine Informations- und Begründungspflicht. Der pauschale Hinweis auf einen potenziellen Verstoß, wie die Manipulation einer Produktbewertung, reicht nicht aus. Es ist vielmehr eine konkrete Darlegung des beanstandeten pflichtwidrigen Verhaltens erforderlich. Der Händler soll nicht rätseln müssen, was er möglicherweise falsch gemacht haben könnte.

Überraschende und nicht nachvollziehbare Sperrungen oder Kündigungen sind dagegen bedenklich. Aufgrund der Untersuchungen des Bundeskartellamtes hat Amazon seine Vertragsbedingung geändert. Dem Unternehmen ist es nicht mehr gestattet, mit sofortiger Wirkung und ohne Begründung, Händler zu sperren oder zu kündigen. Die Zulässigkeit von ähnlichen Geschäftsbedingungen ist auch bei anderen Plattformen zweifelhaft und soll im Fall eines Streites überprüft werden.

Was kann man gegen eine rechtswidrige Sperrung oder Kündigung tun?

Wenn eine Sperrung oder Kündigung ohne einen triftigen Grund erfolgt, die Begründung nicht ausreichend ist oder die vorgeworfene Pflichtverletzung nicht besteht, empfiehlt sich, zunächst mit dem Plattformbetreiber Kontakt aufzunehmen. Das Vorliegen eines Fehlers oder gegebenenfalls die Richtigkeit der Vorwürfe sollen ausgeschlossen werden.

Wenn der Sachverhalt nicht geklärt werden kann, oder das Verschleppen negative Auswirkungen für den Händler hat, kann eine einstweilige Verfügung beantragt werden. Damit kann die Beseitigung der Sperrung oder Kündigung erwirkt werden, sowie Schadensersatz wegen des entgangenen Gewinns.

Im Januar 2021 hat das LG München I in einem einstweiligen Verfügungsverfahren zum ersten Mal eine nicht ausreichend begründete Sperrung als Wettbewerbseinschränkung eingestuft. Interessant ist dabei für den Händler unter anderem, dass kartellrechtliche Ansprüche als deliktisch zu qualifizieren sind. Das bedeutet, dass das Gericht des Ortes zuständig ist, in dessen Bezirk die Handlung begangen wurde. Wenn der deutsche Endkundenmarkt beeinträchtig wird, ist das Gericht zuständig, In dessen Bezirk der Beklagte seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Ist keine solcher vorhanden, ist jedes beliebige Gericht örtlich zuständig.

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