In Compact

HP COMPACT | im Oktober 2020 |

Neues EU-Recht für Daten und Dienste

Jan Weber, Juristischer Mitarbeiter, Hannover

Das Digitalzeitalter birgt viele neue Herausforderungen, auch für das europäische Verbraucherschutzrecht. Daher hat die EU zwei Maßnahmenpakete erlassen, die den Verbraucherschutz stärken und an neue Gegebenheiten anpassen soll. Gewährleisten sollen dies die neuen Richtlinien über die Bereitstellung digitaler Inhalte (Digitaldienste-Richtlinie / diD-RL) und über den Warenkauf (Warenkauf-Richtlinie) sowie die Richtlinie zur besseren Durchsetzung und Modernisierung der Verbraucherschutzvorschriften der Union (Omnibus-Richtlinie), die ihren Ursprung in der Gesetzgebungsinitiative New Deal for Consumers findet. Somit wurde bereits im Jahr 2019 der Grundstein für zahlreiche neue Regelungen in Bezug auf den Verbraucherschutz im Vertrags- und Lauterkeitsrecht sowie in „Digitalverträgen“ gelegt, aber auch für das Wettbewerbsrecht. Die Umsetzung der Richtlinien in nationales Recht muss im Jahr 2021 erfolgen. Ab 2022 gelten die neuen Vorschriften.

Hier können Sie sich das HP Compact als pdf-Datei kostenlos downloaden.

Im Folgenden wird erörtert, welche Änderungen durch die Digitaldienste-Richtlinie auf Unternehmer und Verbraucher im B2C-Geschäft zukommen werden. Welche Änderungen durch die Omnibus-Richtlinie auf Unternehmer und Verbraucher zukommen werden, erörtert das Compact „Neues EU-Recht für Digitalen Verbraucherschutz“, Oktober 2020.

Richtlinie über die Bereitstellung digitaler Inhalte (Richtlinie (EU) 2019/770)

Die Digitaldienste-Richtlinie findet ihren Ursprung in der Verbrauchsgüterkauf-Richtlinie (1999/44/EG) und bildet einen Meilenstein für das europäische Vertragsrecht. Ziel der Richtlinie ist es, die nationalen Digitalmärkte der Mitgliedstaaten zu einem gemeinsamen digitalen Binnenmarkt zu vereinheitlichen (Art. 4 diD-RL). Die daraus resultierende und umstrittene Vollharmonisierung soll einen europaweiten Mindeststandard an Verbraucherschutz bei digitalen Geschäften garantieren.

Entwicklung eines neuen Vertragstypen?

Die Digitaldienste-Richtlinie enthält keine Regelungen über etwaige neue Vertragstypen. Insofern stellt sich die Frage, als welche Vertragsart die „Erstellung / Bereitstellung von Daten und Dienstleistungen“ klassifiziert werden kann.

Im Vordergrund stehen zunächst Dienstleistungs-, Kauf- oder Mietverträge sowie ein Vertrag eigener Art (sui generis). Da häufig Nutzungsrechte den eigentlichen Leistungsgegenstand darstellen, liegt auch ein Lizenzvertrag nahe. Zur Bestimmung der Vertragsart kommt es auf den eigentlichen Vertragsgegenstand an. Die Digitaldienste-Richtlinie regelt Inhalte von B2C-Verträgen, deren Leistungsgegenstand die digitale Bereitstellung digitaler Inhalte und Daten in Form von Musik und Online-Videos (z.B. Spotify, YouTube) darstellt sowie Dienstleistungen, die die Möglichkeit der Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form bieten (z.B. Software as a Service, Cloud-Dienste), oder Dienstleistungen, die den Austausch von Daten ermöglichen (z.B. Social Media, Online Games). Aufgrund der zahlreiche Möglichkeiten für die Bereitstellung digitaler Inhalte oder digitaler Dienstleistungen, wie beispielsweise die Übermittlung auf einem körperlichen Datenträger, das Herunterladen auf Geräte des Verbrauchers, Streaming oder die Ermöglichung des Zugangs zu Speicherkapazitäten für digitale Inhalte oder zur Nutzung von sozialen Medien, gilt die Digitaldienste-Richtlinie unabhängig von der Art des für die Datenübermittlung oder die Gewährung des Zugangs zu den digitalen Inhalten oder digitalen Dienstleistungen verwendeten Datenträgers. Ausgeschlossen sind jedoch Internetzugangsdienste.

Demnach wird es sich voraussichtlich bei dem Vertragstypen um einen typengemischten Vertrag handeln, dessen Schwerpunkte im Miet- / Pachtrecht liegen wird und zugleich einen Lizenzvertrag darstellt.

 

Warenkauf und andere Dienstleistungen

Die Abgrenzung zwischen der Warenkauf-Richtlinie und der Digitaldienste-Richtlinie ist für den Verbraucher von herausragender Bedeutung, da sie darüber entscheidet, ob der Verbraucher seine Rechte gegenüber dem Verkäufer des körperlichen IoT-Produkts oder dem Anbieter digitaler Güter geltend machen muss. Die Abgrenzung erfolgt üblicherweise über den Vertragsinhalt.

Die Warenkauf-Richtlinie enthält ihrerseits Regelungen über bestimmte Anforderungen an Verträge für den Warenhandel. Davon umfasst werden auch „Waren mit digitalen Elementen“. Dabei handelt es sich um solche Waren, die in einer Weise digitale Inhalte oder Dienstleistungen enthalten oder mit ihnen derart verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Inhalte oder Dienstleistungen nicht erfüllen könnte (Art. 3 Abs. 3 WarenK-RL). Zudem soll im Zweifelsfall der Warenverkäufer für die Vertragsgemäßheit derjenigen digitalen Inhalte und digitalen Dienstleistungen haften, die von Anfang an in einem IoT-Produkt enthalten oder mit diesem verbunden sind. Folglich trägt der Verkäufer erhebliche Risiken. Diese kann er jedoch vermeiden, wenn er im Vertrag ausdrücklich die Unabhängigkeit der digitalen Güter von der Ware vereinbart. Zudem muss er versuchen, das Risiko durch detaillierte Back-to-Back-Vereinbarung mit dem Produzenten der digitalen Elemente absichern. Vergleicht man beide Richtlinien miteinander, muss festgestellt werden, dass die Verbraucherrechte der Warenkauf-Richtlinie teilweise hinter denen der Digitaldienste-Richtlinie zurückbleiben.

 

Personenbezogene Daten als Gegenleistung

Eine der neuen Grundideen der Digitaldienste-Richtlinie ist es, die Gegenleistung nicht nur in Form von Geld, sondern auch in Form von personenbezogenen Daten oder einer Kombination aus beidem zu ermöglichen. Anwendbar soll dies für solche Verträge sein, die die Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen anbieten, bei denen die Gegenleistung des Verbrauchers darin besteht, dem Unternehmer seine personenbezogenen Daten zur kommerziellen Nutzung bereitzustellen. Personenbezogene Daten werden jedoch dann nicht als neuartiges Zahlungsmittel akzeptiert, wenn sie ausschließlich zur Bereitstellung der digitalen Inhalte oder Dienstleistungen oder zur Erfüllung von rechtlichen Anforderungen verarbeitet werden und der Unternehmer diese Daten zu keinen anderen Zwecken verarbeitet. Die Verwendung des Begriffs der „personenbezogenen Daten“ entspricht der Definition aus der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) in Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Dadurch unterliegt die Datenverarbeitung dem Schutzniveau der DSGVO. Jedoch könnte bereits die Idee, personenbezogene Daten als Gegenleistung zu akzeptieren, im Konflikt mit dem Schutzzweck der DSGVO stehen. Demnach könnte einerseits den Verbrauchern ein Anreiz gesetzt werden, ihre persönlichen Daten, denen eigentlich im Sinne der DSGVO ein höherer Schutz zukommen soll, im Austausch gegen umfassende Gewährleistungsrechte, Garantien und eine weitreichende Haftung des Vertragspartners anzubieten. Andererseits reagiert die EU so auf die aktuelle Lebensrealität, in der sich Unternehmen schon längst von Verbrauchern mit Daten bezahlen lassen, und ermöglicht den Verbrauchern eine bessere Gegenleistung. Klassische Beispiele, bei denen Verbraucher bereits mit ihren Daten zahlen, finden sich in den Bereichen der „kostenlosen“ Apps, sozialen Netzwerke, in der Verwendung von „Smart-Produkten“ und Cookies, durch die unter anderem personalisierte Werbung generiert wird. Folglich kann durch die Digitaldienste-Richtlinie in diesen Bereichen ein höherer Verbraucherschutz bewirkt werden.

Neuerungen im Verbraucherrecht

Ihrer Bestimmung folgend, führt die Digitaldienste-Richtlinie zu zahlreichen Änderungen des Verbraucherrechts, von denen im Folgenden die wichtigsten näher betrachtet werden.

 

Vertragsgemäßheit

Nach der Digitaldienste-Richtlinie ist ein Produkt nur noch dann vertragsgemäß, wenn es eine Vielzahl objektiver Leistungsmerkmale aufweist. Dies steht dem bisherigen System des § 434 BGB, in dem es vor allem auf das vertraglich Vereinbarte (subjektive Merkmale) ankommt, entgegen. Mögliche Leistungsmerkmale können unter anderem Funktionalität, Kompatibilität, Kontinuität und Sicherheit des Produkts sein. Aber auch „öffentliche Erklärungen″ des Unternehmers sollen objektives Kriterium werden, wodurch insbesondere Werbeaussagen Teil der „Vertragsgemäßheit″ werden. In jedem Fall muss der Verkäufer liefern, was der Verbraucher bei Gütern der jeweiligen Art „vernünftigerweise erwarten kann“, Art. 7 und 8 Digitaldienste-Richtlinie.

Aktualisierungspflicht

Ein weiteres Novum und einen weiteren Systembruch bringt Art. 8 Abs. 2 lit. b Digitaldienste-Richtlinie mit sich. Demnach entsteht eine objektive Anforderung derart, dass die digitalen Güter selbst dann (nachvertraglich) aktualisiert werden müssen, wenn im Vertrag nur eine einmalige Bereitstellung geregelt ist, der Verbraucher die Aktualisierung aber aufgrund von Art und Zweck des Vertrags und unter Berücksichtigung der Umstände vernünftigerweise erwarten darf. Aus der daraus resultierenden Erweiterung des Pflichtenkreises ergibt sich das Problem, dass der Anbieter die Kosten für zukünftige Aktualisierungspflichten von vornherein (ex ante) einpreisen muss, obwohl der Umfang, die Anzahl und zeitliche Dauer dieser künftigen Pflicht von vielen Faktoren abhängt und häufig erst im Nachhinein (ex post) feststeht. Welchen genauen Umfang die Aktualisierungspflicht im Einzelnen haben wird, ist aktuell noch unklar, und die Rechtsprechung wird ihn noch bestimmen müssen.

 

Keine Abdingbarkeit

Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass die objektiven Anforderungen nicht durch den Unternehmer in seinen AGB einseitig abbedungen werden können. Eine Abweichung ist nur dann möglich, wenn diese bereits bei Vertragsschluss dem Verbraucher bekannt ist und er ihr in einer gesonderten Erklärung ausdrücklich zustimmt.

Gewährleistungsrechte für digitale Inhalte oder digitale Dienstleistungen

Die Digitaldienste-Richtlinie stattet zudem den Verbraucher mit kaufrechtsähnlichen Gewährleistungsrechten aus. Somit kann der Verbraucher bei vertragswidriger Leistung die Herstellung des vertragsgemäßen Zustands der digitalen Inhalte oder digitalen Dienstleistungen, eine anteilige Preisminderung oder die Beendigung des Vertrags verlangen. Eine nicht erfolgte „Bereitstellung“ kann ebenfalls zur Vertragsbeendigung führen.

 

Änderung der Frist der Beweislastumkehr

Eine weitere wichtige Änderung ergibt sich für die Dauer der Beweislastumkehr beim Verbrauchsgüterkauf. Bisher bestimmt § 477 BGB, dass bei einem Sachmangel innerhalb von sechs Monaten seit Gefahrübergang vermutet wird, dass dieser bereits bei Gefahrübergang vorlag. Somit trifft die Beweislast den Unternehmer. Was nun viele Unternehmer aufhorchen lassen wird ist, dass dieser Zeitraum durch die Digitaldienste-Richtlinie um weitere sechs Monate und somit auf ein gesamtes Jahr verlängert wird. Bei einem einmaligen Leistungsaustausch von digitalen Inhalten bzw. Dienstleistungen gilt die Beweislastumkehr demnach bis zu einem Jahr nach Bereitstellung, für Dauerschuldverträge hingegen für ihre gesamte Dauer.

 

Wie reagieren? Handlungsvorschläge für Unternehmer

Die Digitaldienste-Richtlinie muss bis zum 01. Juli 2021 in das nationale Recht der EU-Mitgliedstaaten umgesetzt werden und ist ab dem 01. Januar 2022 anwendbar. Wie genau Deutschland die Richtlinie umsetzen wird, ist aktuell noch nicht ersichtlich. Jedenfalls wird eine richtlinienkonforme Umsetzung den Gesetzgeber vor eine komplexe Aufgabe stellen. Da die Ziele der Digitaldienste-Richtlinie jedoch zwingend umgesetzt werden müssen, sind bereits jetzt einige Änderungen absehbar. Die Unternehmen sollten frühzeitig ihre Geschäftsmodelle und Verbraucherverträge an die kommenden Änderungen anpassen, um kostenpflichtige Abmahnungen der Verbraucherschutzverbände und Wettbewerber zu vermeiden. Es gilt, je früher sich mit der gegebenen Problematik auseinandergesetzt wird, desto qualitativ hochwertiger wird dessen Lösung.

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